Inhalt dieses Menüpunkts
- Kurze Hinführung zur Thematik
- Tabelle Vergleich Ansteckungswege
- Kurze Erläuterung aller in der Tabelle genannten Argumente
- Warum Übertragungen über Oberflächen nur eine geringe Rolle spielen und Schutzmaßnahmen in dieses Richtung nicht in Hygienetheater ausarten sollten
Inhalt von Punkt 4.
I. SARS-CoV-2 ist kein typisches Virus, das durch Schmierinfektionen übertragen wird
A.) Anfängliche Annahme und Suggestion, dass Schmierinfektionen die Pandemie antreiben könnten
- Wie lange überlebt das Virus auf Oberflächen?
- Wie schnell könnte das Virus über Kontakte von Oberflächen weitergetragen werden?
B.) Zweifel an der leichten Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 über Kontaktübertragungen
- Mit wieviel infektiösen Viren ist im Alltag auf welchen Oberflächen zu rechnen?
- Viren von Oberflächen nicht mehr reproduzierbar?
- Überlebt das Virus wirklich so lange wie getestet? Der Unterschied zwischen Labor und Realität
- Nur 16 % Übertragungsreduktion bei Viren, die Atemwegserkrankungen auslösen
- Selbst Rhinoviren eher über die Luft ansteckbar?
- Fehlender Nachweis von Schmierinfektionen bei Corona im realen Leben
II. Einschätzungen und Konsequenzen
- Einschätzung von Experten zur Oberflächenübertragung auf der Basis (einiger) der hier angeführten Beobachtungen: Oberflächen könnten infizieren, aber eher nur kurze Zeit und unter besonderen Bedingungen
- Konsequenzen: Menge und Qualität der Anweisungen zur Vermeidung von Kontaktübertragung stehen oft in keinem Verhältnis zum Gesamtnutzen einer Ansteckungsvermeidung
- Hygienetheater – für 5 bis 10 % Ansteckungsvermeidung 30 bis 50 % der Anweisungen in Hygienekonzepten – wo bleibt die Relation?
Im Folgenden möchte ich anhand einer Tabelle die drei wichtigsten Ansteckungswege von Covid-19 vergleichen (wofür ich im deutschsprachigen Bereich bisher keine Parallele gefunden habe). Dabei bin ich von der Frage geleitet: Was spricht für oder gegen den einen oder anderen Ansteckungsweg. Die Indizien legen – so nicht fehlerhaft oder fehlinterpretiert – eine allgemeine Dominanz der Luftübertragung nahe. Schutzkonzept allgemein und besonders im Chor sollten dieser Beobachtung Rechnung tragen. (Zur Zeit sind einige Punkte hier noch schlecht mit Belegen versehen. Ich hole dies noch nach. Zum Teil finden sich entsprechende Belege bereits im Menüpunkt zuvor. Hinweise auf weitere noch nicht beachtete Indizien – gleich für welche Übertragungsart – sind willkommen).
1. Kurze Hinführung zur Thematik
Wie im vorigen Menüpunkt gezeigt hat die fieberhaft arbeitende Forschung seit Beginn der Pandemie viele Ergebnisse erzielt, die der Luftübertragung bei Corona mehr und mehr eine immer dominantere Rolle bescheinigt haben. Dadurch werden die anfänglich propagierten Hauptübertragungswege Tröpfchen- und Schmier/Kontaktinfektion sowie Überlegungen zu coronaspezifischen Schutzmaßnahmen relativiert. Das soll jedoch nicht missverstanden werden, auf Schutzmaßnahmen zur Vermeidung dieser beiden Ansteckungswege zu verzichten, sondern sollte zur Erkenntnis führen, das Gesamtpaket an Schutzmaßnahmen anders zu schnüren, was insbesondere beim Gruppengesang von grosser Bedeutung ist.
In der folgenden Tabelle sind Argumente für die drei vermuteten wesentlichen Übertragungswege von Corona (Tröpfcheninfektion, Schmier/Kontaktinfektion und Aerosolinfektion) aufgelistet. Seit Beginn der Pandemie habe ich solche Argumente gesammelt. Die Tabelle hier geht jedoch zu einem guten Teil zurück auf den amerikanischen Chemiker und Aerosolforscher Prof. Jose Luis Jimenez, der auch als Mitglied eines Wissenschaftlerteams das Superspreader-Chorevent des Skagit Valley Chorale untersucht hat, im Sommer eine vollständigere Sammlung an Argumenten aufzählt, als ich bis dahin zusammengetragen hatte. Jimenez beruft sich bei der Erstellung der Tabelle auf die Mithilfe zahlreicher Wissenschaftler. Er selbst ist einer der 239 Wissenschaftler, die im Juli 2020 die WHO in einem offenen Brief zur längst fälligen Anerkennung des Luftübertragungswegs aufgefordert haben (Morawska und Milton 2020). Jiminez hat die Argumente pro und contra in Bezug auf die drei Hauptübertragungswege Tröpfcheninfektion, Kontakt/Schmierinfektion und Aerosolinfektion auf Englisch zugänglich gemacht. Von ihm erwähnte Argumente sind in der Tabelle in blauer Schrift eingetragen.
Ich versuche diese Argumentationsabwägung für die eine oder für die andere Ansteckungsart hier auf Deutsch zugänglich zu machen, ergänze sie durch weitere Beobachtungen und erkläre alle Punkte unterhalb der Tabelle noch einmal kurz. Natürlich ist Irrtum hier im ein oder anderen Fall vorbehalten. Für Hinweise auf Irrtümer oder Missverständnisse bzw. Ergänzungen bin ich dankbar. Wer hier die üblichen Gegenargumente gegen die Aerosolübertragung zu wenig beachtet findet, lese die entsprechende Argumentation im vorherigen Menüpunkt, warum diese nicht nur meines Erachtens auf Fehleinschätzungen beruhen.
2. Tabelle Vergleich Ansteckungswege
Infektionsweg Tröpfchen | Infektionsweg Oberflächen Kontakte | Infektionsweg Aerosole | |
---|---|---|---|
Händewaschen scheint 16 % der Ansteckungen zu vermeiden | (ein grosser Teil der Ansteckungen muss dann wohl auf Aerosol- oder Tröpfcheninfektion entfallen) | ja | (ein grosser Teil der Ansteckungen muss dann wohl auf Aerosol- oder Tröpfcheninfektion entfallen) |
Infektionen sind über die Augen möglich (?) | ja (?) | ja (?) | ja (?) |
Medizinische Schutzausrüstung (PSA) funktioniert ziemlich gut | ja | ja | ja |
Masken verhindern Ansteckungen besser als Faceshields | Beobachtungen und Computersimulationen sprechen gegen Dominanz | (keine Aussage) | Beobachtungen und Computersimulationen sprechen für Dominanz |
Ansteckungen beim Husten und beim Niesen sind hierdurch physikalisch plausibel | ja | ja | ja |
Kleine Aerosole tragen gesamthaft mehr Viren als größere Aerosole und Tröpfchen | auch | (keine Aussage) | sehr |
Ansteckungen beim Sprechen sind hierdurch physikalisch plausibel | ? | nein | ja |
Vergrösserte Abstände (social distancing) verhindern Ansteckungen | ja | (keine Aussage) | sehr |
Tierversuche bestätigen Ansteckungsweg | ? | ja | ja |
Infektiosität von SARS-CoV-2 konnte hierüber im Labor demonstriert werden | ? | ja | ja |
Infektiosität von SARS-CoV-2 wurde hierüber unmittelbar im Alltag nachgewiesen | nein | nein | ja |
Assymptomatisch oder präsymptomatisch Infizierte können andere anstecken | wenig | wenig | ja |
Außen gibt es viel weniger Ansteckungen und kaum/keine Superspreader-Events | spricht gegen diese Priorität | könnte dafür sprechen | spricht sehr dafür |
Reduzierte Frischluftzufuhr begünstigt Ansteckungen | nein | nein | ja |
Raumgröße und Personendichte haben einen Einfluss auf die Ansteckungen | nein (wenig?) | nein (wenig?) | ja |
Kinder stecken andere weniger oft an | (wohl eher nein) | nein | ja |
(In Afrika hat sich die Pandemie weniger stark als bei uns verbreitet) | (nein) | (nein) | (wohl anteilig) |
Eine höhere Luftfeuchtigkeit reduziert Infektiosität von SARS-CoV-2 | (ohne Aussage) | (ohne Aussage) | sehr |
Corona scheint im Winter um 40 % ansteckender zu sein | (keine Aussage) | (keine Aussage) | spricht dafür |
Ansteckungsweg erklärt beobachtete Corona-Superspreading-Events | nein | nein | sehr |
Die Art der Corona-Superspreading-Events ähnelt der bekannter Krankheiten | ähnelt nicht | ähnelt nicht | zutreffend |
Ansteckungsweg wurden bei ähnlichen Viren nachgewiesen | nein | ja | ja |
Infektionsweg Tröpfchen | Infektionsweg Oberflächen Kontakte | Infektionsweg Aerosole |
3. Kurze Erläuterung aller in der Tabelle genannten Argumente
Jeder der in der Tabelle genannten Punkte und Indizien wird hier noch einmal kurz kommentiert:
- Beobachtung, dass Händewaschen in 16 % der Fälle nutzt: Die amerikanische Seuchenschutzbehörde macht auf ihrer Internetseite darauf aufmerksam, dass eine Metastudie gezeigt hat, dass ausgiebige Handhygiene bei anderen Viren mit ähnlichen Symptomen (Influenza und andere Coronaviren) die Infektionsrate um 16 % reduzieren konnte (siehe Menüpunkt zuvor; Rabie und Curtis 2006). Das legt unmittelbar nahe, dass der Übertragungsweg der Schmier/Kontaktinfektion eine ernst zu nehmende Rolle bei der Übertragung von SARS-CoV-2 spielt und die mittlerweile gängigen Hygieneregeln wie häufiges Händewaschen und Desinfektion besonders von vielberührten Oberflächen eingehalten werden sollten. Indirekt ist daraus aber auch der Schluss ableitbar, dass nicht bei der Schmier/Kontaktinfektion, sondern entweder bei der Tröpfchen- oder bei der Aerosolinfektion der dominante Übertragungsweg zu suchen ist.
- Infektionen sind über die Augen möglich (?): Die Augen stand bereits seit Auftreten von Covid-19 im Verdacht via Schmier- und Tröpfcheninfektion Eintrittspforte für Covid-19 zu sein. Immerhin verfügt das Auge über ACE2-Rezeptoren, woüber SARS-CoV-2-Viren in Zellen eindringen können. Allerdings können dann Viren in Aerosolen die Augen genauso gut befallen. Dem scheint jedoch eine Studie aus China zu widersprechen. Wissenschaftlern um den Mediziner Yiping Wei war aufgefallen, dass bei 276 Corona-Patienten in der Provinz Hubei die Anzahl der Brillenträger auffallend unterrepräsentiert war (Weng et al. 2020). Die Forscher werteten diese bislang einzige Studie zu dem Thema (Ende 2020) als Indiz – nicht als Beweis – für eine Schutzfunktion für Brillen gegen eine Ansteckung mit Covid-19 über die Augen vermittels Tröpfchen- und Schmierinfektion und letztlich auch als ein Beweis für diesen Ansteckungsweg überhaupt. Die Forscher weisen auch auf Berichte angesteckte Augenärzte. Der Befund, der auf einer einzigen und nur kleinen Studie beruht, überzeugt viele Mediziner jedoch aufgrund verschiedener Beobachtungen nicht, die sogar die Bedeutung einer Coronainfektion über die Augen infrage stellen: Berichtete Augenbeschwerden im Kontext von Covid-19 konnten bisher nicht sicher ursächlich mit der Krankheit in Verbindung gebracht werden, so Prof. Clemens Lange, Augenmediziner in Freiburg. Beobachtete Bindehautentzündungen machten nur 1 % aus. Bei Proben der Augenschleimhaut von Patienten seien keine relevanten Mengen des ACE2-Rezeptors festgestellt worden. Es sei unsicher, ob die Anzahl der nötigen Rezeptoren in den Augen überhaupt gross genug für eine Ansteckung sei. Augenärzte seien aufgrund der unmittelbaren Arbeit im Gesicht verstärkt Aerosolen ausgesetzt, die die Ansteckung bei Augenärzten viel besser erklärt als über Schmierinfektionen. Bei der derzeitigen Studienlage und in Kenntnis der chinesischen Studie weise “nichts darauf hin, dass wir die Augen als bedeutsame Eintritts- oder Austrittspforte des Virus betrachten müssen” erklärt Lange. “Der regelmäßige Lidschlag des Auges sowie die geringe Augenoberfläche dürften verhindern, dass ausreichend Viren ins Auge gelangen können.” Die Frage des Bedeutung einer Ansteckung über die Augen scheint also offen zu sein. Im Zweifelsfall wäre auch hier vorsichtshalber eher einem Schutz der Vorzug zu geben.
- Medizinische Schutzausrüstung (PSA) funktioniert ziemlich gut: Dieses Argument haben Mediziner gegen die Aerosolübertragung gelten machen wollen. Jedoch wird bei jeder der drei Übertragungswege durch die sogenannte PSA (Kombination aus Schutzkleidung, Maske und Faceshield) abgehalten, und es lässt sich hier kein Argument zugunsten oder zulasten des einen oder des anderen Ansteckungswegs ersehen.
- Masken verhindern Ansteckungen besser als Faceshields: Das Masken besser schützen als Faceshields, dafür liegen mittlerweile sowohl Laborstudien (so durch eine Forschergruppe der Florida Atlantic University, Verma et al. 2020, Pilotstudie an der Universität München durch Prof. Schwarzbauer), Computersimulationen (so durch Japans Supercomputer Fugaku), die dies so berechnet haben, als auch bestätigende Belege aus dem Alltag. So infizierten sich etwa in einem Hotel in Graubünden nur Angestellte, die einen Faceshield trugen, nicht aber diejenigen, die Masken an hatten. Beides, Masken wie Faceshields, mag den Tröpfchenflug gut dämmen, der Rest an Infektionen muss dann aber auf Aerosole zurückgehen, die durch einen Faceshield nicht aufgehalten werden können. Diese Evidenzen dürften auch stärker sein, als die oben zitierte chinesische Studie, die nahe legt, das Brillenträger stark vor Corona-Infektionen geschützt sein sollen (Weng et al. 2020). Die Schutzwirkung von Visieren wird daher immer öfter auch von Regierungen als der von Masken unterlegen einstuft und zum Teil als Alternative zu Masken ausgeschlossen.
- Ansteckungen beim Husten und beim Niesen sind hierdurch physikalisch plausibel: Mit dem Auswurf beim Husten oder Niesen können größere Tröpfchen bis zu mehreren Metern geschleudert werden, allerdings nur wenn nicht durch Hand, Armbeuge oder Taschentuch aufgehalten und sich der Kopf dafür zudem in dafür geeigneter Position befindet. Dieser Auswurf kann auch plausibel für Schmierinfektionen sorgen. Allerdings produziert Husten und viel mehr noch Niesen auch eine Unmenge an Aerosolen, die, so sie denn virenbeladen sind, ebenfalls (und oft viel effektiver) infizieren können.
- Kleine Aerosole tragen gesamthaft mehr Viren als Tröpfchen: Untersuchungen zur Influenza und anderen Viren, aber auch konkret zu SARS-CoV-2 haben gezeigt, dass virale RNA warum auch immer bevorzugt in Aerosolen (bei SARS-CoV-2 unter 2,5 μm; bei Influenza 87 % unter 1 μm) zu finden ist (Fennelly 2020). Aerosole breiten sich also nicht nur leichter aus, sondern enthalten im Verhältnis zum Gesamtvolumen emittierte Flüssigkeitspartikel im Schnitt mehr Viren als größere Tröpfchen.
- Ansteckungen beim Sprechen sind hierdurch physikalisch plausibel: Singen, Sprechen, Lachen und Schreien produzieren Tröpfchen, aber viel mehr noch Aerosole. Berechnungen zeigen, dass die Dominanz von Tröpfchen gerade einmal für die ersten 20 cm zur Entstehungsquelle in der Horizontale gilt (Chen et al. 2020).
- Vergrößerte Abstände (social distancing) verhindern Ansteckungen: Die Beobachtung, dass eine zunehmende Vergrößerung von Abständen zwischen Menschen das Ansteckungsrisiko immer mehr reduziert (von einer Metaanalyse im Auftrag der WHO im Juni eindrücklich bestätigt Chu et al. 2020), ist für die Kontaktübertragung anerkannt ohne Aussagewert. Das Argument wurde von Medizinern immer wieder gegen die Luftübertragung geltend gemacht – und ist belegbar falsch. Die Aerosolkonzentration ist im Nahbereich (unter 2 m) ebenfalls am häufigsten anzutreffen, und mathematische Berechnungen und Compuntersimulationen zeigen, dass die Tröpfcheninfektion nur unterhalb von 20 cm beim Sprechen und 50 cm beim Husten dominiert (Chen et al. 2020).
- Tierversuche bestätigen Ansteckungsweg: Tierversuche mit Hamstern und Frettchen haben den Übertragungsweg über die Luft und über Kontakte bestätigt (siehe Menüpunkt zuvor, Kim et al. 2020). Es wurde angeführt, dass auch die Tröpfcheninfektion bestätigt sei, da sich Tiere besonders beim Nahkontakt angesteckt haben. Das jedoch ist kein Beweis, weil auch die Aerosolinfektion beim Nahkontakt die stärkste Wirkung hat (siehe Social-Distancing-Argument unten).
- Infektiosität von SARS-CoV-2 konnte hierbei im Labor demonstriert werden: Die Überlebens- und Reproduktionsfähgigkeit von SARS-CoV-2-Viren ist sowohl auf Oberflächen als auch in der Luft mehrfach nachgewiesen worden (bei Tröpfchen ist wohl davon auszugehen).
- Infektiosität von SARS-CoV-2 wurde hierbei unmittelbar im Alltag nachgewiesen: Wiewohl die Aerosolübertragung anfänglich auch mit dem Argument geleugnet wurde, dass sie im Alltag nicht nachgewiesen wurde, hat sich hier mittlerweile die Beweislage komplett umgekehrt. Reproduktionsfähige SARS-CoV-2-Viren wurden in der Krankenhausluft gefunden und viele Fälle lassen sich nur über die Luftansteckung sinnvoll erklären (siehe vorhergehenden Menüpunkt). Das deutsche Bundesamt für Risikobewertung schreibt dagegen noch im November 2020: „…für eine Übertragung des Virus durch Kontakt zu kontaminierten Gegenständen oder über kontaminierte Oberflächen, wodurch nachfolgend Infektionen beim Menschen aufgetreten wären, gibt es derzeit keine belastbaren Belege.“ Auch gibt es bisher keinen Fall, der mit Bestimmtheit nur einer Tröpfcheninfektion zugeordnet werden kann, nicht aber einer Aerosolinfektion.
- Assymptomatisch oder präsymptomatisch Infizierte können andere anstecken: Früher ging man davon aus, dass die Influenza und Erkältungskrankheiten primär durch Tröpfchen, die beim Husten und Niesen entstehen, übertragen wird, so anfänglich auch bei Covid-19. Wenn Asymptomatische das Virus dennoch übertragen können, weist das daraufhin, dass Tröpfchen hier eher eine untergeordnete Rolle spielen und Aerosole die Übertragung eleganter erklären.
- Außen gibt es viel weniger Ansteckungen und kaum/keine Superspreader-Events: Dass sich an der frischen Luft hochsignifikant weniger Ansteckungen ereignen als in Innenräumen, wie bereits im April 2020 eine japanische und eine chinesische Studie aufgezeigt haben, wird am besten durch die sofortige Verdünnung der Luft erklärt. Diese bewirkt, dass im Außenbereich die Aerosolübertragung kaum eine Chance hat. Sehr viel weniger wiegt wohl das Argument, dass im Außenbereich eben das Platzangebot grösser ist, weniger Möglichkeiten zu einer Schmierinfektion bestehen und sich im Außenbereich die Menschen bei Face-To-Face-Gesprächen vielleicht weniger oft in gleicher Weise nahe kommen wie im Innenbereich, wo die Raumverhältnisse grössere Nähe erzwingen könnten.
- Reduzierte Frischluftzufuhr begünstigt Ansteckungen: Mit dem vorangehenden Argument hängt dieses zusammen, da es hier darum geht, möglichst Luftbedingungen wie außen herzustellen. Gelingt dies nicht und wird die Luft verbraucht, steigt das Ansteckungsrisiko. Dass in schlecht belüfteten Räumen Superspreader-Events stattgefunden haben, lässt sich nur mit einer hohen Aerosolmenge erklären, nicht aber über Tröpfchen oder Schmier/Kontaktinfektion. Nur wenn man den Aerosolen auch zutraut, Viren zu transportieren, ergibt die Forderung nach Lüften einen Sinn.
- Raumgröße und Personendichte haben einen Einfluss auf die Ansteckungen: Auch dieses Argument knüpft an die beiden vorangegangen an. Dass es in schlecht belüfteten kleinen Räumen mit hohem Personenaufkommen häufig zu Ansteckungen gekommen ist, ist mittlerweile allgemein bekannt, anerkannt und wird am besten durch die hohe Aerosolisierung der Luft erklärt. Natürlich könnte man hier auch sagen, die Menschen seien sich näher gekommen und Oberflächen seien statistisch betrachtet öfter berührt worden, jedoch verweist das Gesamtpaket sehr auf die Luftübertragung als primäre Ursache für diese Beobachtung.
- Kinder stecken andere weniger oft an: Wenn Corona eine überwiegend luftgetragene Krankheit ist, passt die Beobachtung, dass Kinder vor der Pubertät andere weniger anstecken als Erwachsene, genau zu dem, was man im Hinblick auf ihre Aerosolproduktion erwarten sollte. Denn bei gleichen Tätigkeiten emittieren Kinder, die ähnlich häufig angesteckt werden wie Erwachsene und bei einer Coronainfektion eine ähnlich hohe Viruslast aufweisen wie Erwachsene, weniger Aerosole als Erwachsene (vgl. etwa Mürbe et al. 2020). Das passt genau ins Bild des Erwarteten. Denn Kinder haben ein viel kleineres Lungenvolumen und kleinere Stimmbänder als Erwachsene, sodass verständlicherweise weniger Tröpfchen beim Sprechen, Singen oder Lachen von den Stimmbändern vernebelt werden und weniger Aerosole entstehen, die Viren tragen können, als bei Erwachsenen (Riediker und Morawska 2020).
- (In Afrika verbreitet sich die Pandemie weniger stark als bei uns: Ich setze diesen Aspekt in Klammern, da er mehr Indiz ist, als Beweiskraft hat. Viele Gründe sind dafür gesucht worden, warum Afrika in der Pandemie bislang so wenige Infizierte und Tote aufweist. In Afrika wird weniger getestet. Das stimmt jedoch nur zum Teil. Oder: In Afrika leben viel weniger alte Menschen als in Europa, und Todesfälle fallen deshalb viel weniger ins Gewicht. Daher fällt die Pandemie weniger auf. Oder: Afrikaner haben vielleicht andere genetische und durch die vielen Wurminfektionen sicher andere immunologische Voraussetzungen. Oder: Afrikaner haben bereits mehr Erfahrungen mit Eindämmen der Pandemie. Alle genannten Faktoren mögen zutreffen. Auffällig aber ist, dass es in Afrika (außer in Höhenlagen) sehr viel mehr als bei uns oder in Nordamerika das ganze Jahr über verhältnismäßig warm bis heiß ist und sich ein grosser Teil der Menschen außen aufhält, wo Aerosole kaum eine Rolle spielen. So sieht es auch etwa Francisca Mutapi, Professorin für globale Gesundheitsinfektionen und Immunität an der Universität Edinburgh. Die hohe Aufenthaltsdauer außen und eine hohe Belüftungsrate innen erklärt vermutlich zumindest anteilig die niedrige Infektionsrate in Afrika.)
- Eine höhere Luftfeuchtigkeit reduziert die Infektiosität von SARS-Cov-2: Für die Influenza ist der reduzierende Einfluss wachsender Luftfeuchtigkeit bereits in einigen Studien der vergangenen Jahre gezeigt worden (Yang und Marr 2011; Noti et al. 2013), so nun auch für SARS-CoV-2-Viren (Schuit et al. 2020).
- Im Winter stecken sich mehr Menschen an: Zum Teil überlagert sich die Aussagekraft dieses Indizes mit der von einigen der vorangegangenen Indizien und Belegen, aber nicht nur gewisse Viren scheinen in der kalten Jahreszeit Hochkonjunktur zu haben. Das scheint mehr und mehr nicht nur im Fall von SARS-CoV-2, sondern auch in dem von anderen Viren wie der Influenza und diversen Erkältunsviren für einen Übertragungsweg über die Luft zu sprechen, wofür auch hier mittlerweile immer mehr Argumente vorliegen. Der hier beschriebene so genannte Saisonalitätseffekt war von Virologen wie Christian Drosten zunächst niedriger, auf etwa 20 %, eingeschätzt worden. Forscher der Universität Oxford haben aus einer Beobachtungsstudie zu 143 Regionen Europas herausmodelleiert, dass der Effekt offenbar viel stärker als erwartet ist (Gavenčiak et al. 2021): Demnach ist Corona im Winter um 40 % ansteckender als im Sommer. Zum Teil kann das damit zu tun haben, dass sich die Menschen im Winter mehr in Innenräumen aufhalten und weniger gelüftet wird, ein Teil damit, dass die niedrigere Luftfeuchtigkeit in geheizten Räumen die Schleimhäute reizt und empfänglich für Infekte macht. Warum dann nicht auch in gleicher Weise für Viren, die mehr im Sommer Konjunktur haben? Aber es fällt auch auf, dass Viren unter winterlichen Bedingungen viel länger in der Luft überleben. Sie überleben länger bei niedriger Luftfeuchtigkeit und bei wenig UV-Einstrahlung. Durch chemisch-physikalische Prozesse werden sie in höherer Luftfeuchtigkeit, wie sie im Sommer gang und gäbe ist, vergleichsweise schnell deaktiviert im Sommer werden sie durch eine hohe UV-Strahlung schnell deaktiviert. Das ist für Influenzaviren wie für SARS-Cov-2 (siehe Listenpunkt zuvor) gezeigt worden. Unmittelbar nachvollziehbar macht dies auf der Grundlage dieser Studie der Online-Simulator der amerikanischen Homeland Security.
- Ansteckungsweg erklärt beobachtete Corona-Superspreading-Events: Bekanntgewordene Superspreading-Ereignisse mit vielen Ansteckungen in einem Raum sind mit Schmierinfektionen und auch mit Tröpfcheninfektionen nicht sinnvoll und nur mit viel Zusatzannahmen zu erklären. Durch Massenansteckungen in Fleischfabriken, Bussen, Bars, Restaurants oder Chören usw. über grössere Distanzen hinweg ist der Weg über die Luft als Ansteckungsweg zur Genüge nachgewiesen und ohne Zusatzannahmen auch nur in diesem Sinne elegant zu erklären. Es gibt aber keinen wirklichen Grund, diese Fälle nur als Ausnahmen abzutun, und nicht von hier aus Schlüsse auf die Regel zu ziehen. Denn die genannten Übertragungsereignisse kann man durchaus als unfreiweilige Versuchsanordnungen im Alltag begreifen, die den Sachverhalt der Ansteckung über die Luft demonstrieren konnten.
- Die Art der Corona-Superspreading-Events ähnelt der bekannter auch durch diesen Weg übertragene Krankheiten: Auch wenn es bei Krankheiten, die sich nicht über die Luft verbreiten, Superspreader gibt – also besonders ansteckende Personen mit einer weit überdurchschnittlichen Viruslast -, gleicht das Profil der Superspreading-Events bei Corona nicht der Art des Superspreadings bei Krankheiten, die sich über Tröpfchen und Schmierinfektionen übertragen, sondern der bei Krankheiten, die über die Luft übertragen werden wie Tuberkulose, Masern oder SARS.
- Ansteckungsweg bei ähnlichen Viren nachgewiesen: Vor allem anderen ist hier wohl die Ähnlichkeit zwischen Corona und SARS von Interesse. Das SARS-CoV-2-Virus weist in Stuktur, Verhalten und Wirkung grosse Ähnlichkeit mit dem SARS-CoV-1-Virus auf. Beide Viren haben eine ähnliche Stachelstruktur und sind von einer Fetthülle ummantelt. Die nachgewiesenen Überlebenszeiten beider Virenstämme in der Luft und auf Materialien sind meistenteils unmittelbar vergleichbar. Beide Krankheiten lösen ähnlich Symptome auf und sind von ähnlichen Spätfolgen begleitet. Bei SARS stellte sich heraus, dass viele Infizierte niemand angesteckt haben, während einzelne Superspreader, die sehr viele Menschen infizierten, die Pandemie aufrecht erhielten. Bei SARS-CoV-2 liegt dies nun auch nahe. Durch mehreren Studien wurde der Nachweis erbracht, dass SARS-CoV-1 über die Luft übertragen wurde. Die Deutung, dass sich bei SARS Bewohner von Hochhäusern in höheren Stockwerken über Aerosole in der Kanalisation infiziert haben, ist allgemein anerkannt. Man müsste schon gute Gründen nennen, dass der Analogieschluss in Sachen Luftübertragung von SARS auf Corona nicht nahe liegend ist.
Die Summe der Argumente, bei dem kein einziges gegen die Aerosolübertragung spricht, legt klar eine Dominanz des Luftansteckungswegs bei Covid-19 nahe, und Maßnahmen sollten an diese Erkenntnis angepasst werden. In Singgruppen ist dies noch einmal aufgrund der besonderen Aerosolproduktions- und Ansteckungsbedingungen beim Singen wichtiger, wie ich im nächsten Menüpunkt Aerosolübertragung beim Singen begründen will.
4. Warum Übertragungen über Oberflächen nur eine geringe Rolle spielen und Schutzmaßnahmen in dieses Richtung leicht in Hygienetheater ausarten
Auf dem Hintergrund dessen, was wir über die Ansteckungswege des Coronavirus wissen, sind von allen Hygienemaßnahmen die Kontaktvermeidung bei der Begrüßung und die Handhygiene die wichtigsten. Bei dem Einsatz aller weiteren Hygienemaßnahmen sollte bei Schutz-/Hygienekonzepten Augenmaß gehalten werden. Denn SARS-CoV-2 ist, wie Studien zeigen, kein Virus, das sich leicht und oft über Schmierinfektionen überträgt. Der Nutzen entsprechender Desinfektions- oder Kontaktvermeidungsmaßnahmen steht daher oft in keiner Relation zu dem, was durch Vermeidungsstrategien bezüglich Aerosolübertragung (wozu Abstandhalten, Maskentragen, Sorgen für gute Belüftung, Probenzeitbegrenzung… gehören) an Ansteckungen vermieden werden kann. Schutzkonzepte, die viele Hygienemaßnahmen oder gar großflächige Raumdesinfektionen vorschreiben, geraten leicht zu dem, was mehr im englischsprachigen Raum als Hygienetheater bezeichnet wird, weil sie sich im Hinblick auf die mögliche Ansteckungsvermeidung in Aktionismus ergehen, der für alle Beteiligten in einem falschen Gefühl von Sicherheit münden kann, die dann nicht besteht. Ich erkläre hier, warum das so ist.
I. SARS-CoV-2 ist kein typisches Virus, das durch Schmierinfektionen übertragen wird
A.) Anfängliche Annahme und Suggestion, dass Schmierinfektionen die Pandemie antreiben könnten
Zu Beginn der Pandemie wurde auf sehr breiter Basis angenommen, dass das Virus sich gut über Kontakte und Schmierinfektionen übertragen kann. Es wurde uns eingebläut, wie wichtig nun umfangreiche Hygienemaßnahmen seien. Die WHO und die einzelnen Staaten riefen dazu auf. Alles wurde aufwändig gewaschen und desinfiziert, und wir fühlten uns dadurch sicherer. Wir sehen noch die Bilder aus dem Fernsehen von vermummten Gestalten, die ganze Strassenzüge desinfiziert haben. Dementsprechend waren viele Hygiene-/Schutzkonzepte zu einem hohen Prozentsatz damit ausgefüllt, detaillierte Aufstellungen darüber zu geben, was wann wie gründlich zu desinfizieren sei. Zum Teil tun sie das immer noch. Es spricht jedoch viel dafür, dass dies nur ein emotionales Sicherheitsgefühl, aber sehr wenig tatsächliche Sicherheit bieten kann. Der folgende Text ist eine Begründung dafür. Mittlerweile wird wissenschaftlich immer klarer und breiter akzeptiert, dass das Virus sich hauptsächlich über die Luft, sekundärer über Tröpfchen und allenfalls nur tertiär über Kontaktinfektionen ausbreitet (vgl. hierzu auch den Menüpunkt Vergleich Ansteckungswege). Gesundheitsministerien in immer mehr Ländern – bei weitem nicht allen – kommunizieren das auch so, aber die anfänglich beschworenen Anleitungen zur Ansteckungsvermeidung sitzen bei vielen noch tief und werden in vielen Hygienekonzepten immer noch groß geschrieben und weitertransportiert.
1. Wie lange überlebt das Virus auf Oberflächen?
Labormessungen haben gezeigt, dass SARS-CoV-2-Viren ebenso wie verwandte Corona-Viren für Tage auf Oberflächen infektiös bleiben können, je kälter desto länger.
Ein Teil der besonderen Achtsamkeit im Bereich der Hygienemaßnahmen geht auf Messungen zur Überlebensdauer des Virus auf verschiedenen Gegenständen zurück (sofern man überhaupt von Überleben sprechen kann, denn ein Virus lebt nicht im eigentlichen Sinne). Solche kursierten zu Beginn der Pandemie umfangreich in den Social Media und flößten Furcht ein. Wie konnte man sich da noch irgendwie sicher fühlen? Hier eine Auswahl entsprechender Studien:
- Eine Studie des amerikanischen NIH (National Institutes of Heath) unter Mitwirkung der CDC wies nach, dass SARS-CoV-2-Viren auf Oberflächen bis zu mehreren Tagen überleben können: auf Kupfergeld etwa bis zu 4 Stunden, auf Pappe bis zu 24 Stunden und auf Plastik und rostfreiem Stahl bis zu 3 Tagen (Van Doremalen et al. 2020).
- Eine Studie aus Honkong wies infektiöse SARS-CoV-2-Viren nach 3 Tagen noch auf Banknoten, nach 7 Tagen noch auf Masken nach (Chin et. al. 2020)
- Eine deutsche Studie untersuchte die Lebensdauer bei noch mehr Materialien und lieferte detaillierte Ergebnisse mit zum Teil noch längerer Überlebensdauer der SARS-CoV-2-Viren: Stahl 3 Tage; Aluminium 2-8 Stunden; Holz 4 Tage; Karton, Papier 24 Stunden; Glas 4 Tage; Plastik 5 Tage; Keramik 5 Tage; Latex mehr als 8 Stunden (Kampf et al. 2020).
- Eine Studie des United States Army Medical Research Institute of Infectious Diseases ermittelte 4 Tage mögliche Überlebenszeit von SARS-CoV-2-Viren auf Banknoten und auf der Haut, und 8 Stunden auf Kleidung (Harbourt et al. 2020).
- Eine australische Studie zeigte sogar, dass das Virus in absoluter Dunkelheit und bei 4° C 28 Tage überleben kann (Ridell et al. 2020).
Die Aufrufe zu exzessiver Oberflächenhygiene basierten zum Teil auch auf älteren analogen Studien zu länger bekannten Coronaviren wie die Auslöser von SARS oder MERS: Hier war man bereits schon zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.
- Eine deutsche Studie am Uniklinium Frankfurt maß Überlebenszeiten von SARS-CoV-1-Viren bis zu 9 Tagen. Rabenau et al. 2005)
- Chinesische Forscher maßen Überlebensdauern von 3 bis 4 Tagen auf Oberflächen (Duan et al. 2003)
- Das amerikanische NIH (National Institutes of Health) hatte die Überlebensdauer von MERS-Viren auf Stahl und Plastik auf 2 Tage bestimmt (Van Doremalen et al. 2013)
- Das TGEV-Virus, ein Coronavirus, das Schweine infiziert, bleibt auf Stahl bei 40° 4 Tage infektiös, bei 4° sogar über 28 Tage (Casanova et al. 2009).
- Das MHV-Virus, ein Coronavirus, das bei Mäusen und Ratten gefunden wird und eine hohe Sterblichkeit nach sich zieht, bleibt bei 40 ° bis zu 4 Tagen infektiös und bei 40° ebenfalls über 28 Tage. (Casanova et al. 2009).
2. Wie schnell könnte das Virus über Kontakte von Oberflächen weitergetragen werden?
Nicht nur solche Untersuchungen zur Überlebensdauer von Viren verbreiteten Furcht. Auch ein anderer Aspekt goss hier Öl ins Feuer: Studien und Videos wurden über die Medien verbreitet und kursierten in den Social Media, wie schnell sich das Coronavirus über Oberflächen in Büros, Restaurants, Schulen, Kindertagesstätten usw. verteilen können soll. Viele Millionen Male wurden auf Youtube Videos angeklickt, die anhand von Versuchen zeigten, wie und wie schnell sich eine einmal auf Hände aufgetragene Substanz, die nur unter UV-Licht sichtbar ist, auf Oberflächen verbreiten kann, in dem sie jeder
B.) Zweifel an der leichten Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 über Kontaktübertragungen
1. Mit wieviel infektiösen Viren ist im Alltag auf welchen Oberflächen zu rechnen?
Bei diversen Untersuchungen gelang es, bei viel berührten Gegenständen in großem, wie in kleinem Rahmen Oberflächenproben zu gewinnen, auf der man virale RNA nachweisen konnte. Zum Teil wurde aus solchen Studien die Wichtigkeit der Oberflächendesinfektion im öffentlichen Raum abgeleitet.
Die Überlebensdauer des Virus war ein wichtiger Aspekt, der die Angst vor Schmierinfektionen beflügelte. Ein anderer betraf Untersuchungen, wo wir denn im Alltag mit solchen Viren auf Oberflächen in Kontakt kommen könnten und ob da auch tatsächlich Spuren des Virus aufzufinden sind. Lauert das Virus im Portmonnaie? Erreichen uns verseuche Briefe – oder im Chorfall vielleicht verseuchte Noten per Post? In Krankenhäusern wurde immer wieder RNA-Material von Viren auf Oberflächen nachgewiesen. Aber auch in Alltagssituationen? Dieser Frage gingen international diverse wissenschaftliche Studien nach.
In Deutschland etwa untersuchte ein Team um Professor Hendrik Streeck, Direktor der Virologie an der Universität Bonn 21 Haushalte mit 26 Corona-Kranken und insgesamt 53 Bewohnern viel benutzte Oberflächen. In Israel untersuchte ein Team der Universität von Tel Aviv um Dr. Tal Brosh-Nissimov Oberflächen in zwei Krankenhäusern und auf dem Mobiliar eines Corona-Quarantänehotels (Ben Shmuel et. al 2020). Brasilianischen Forscher der Universidade Federal de Minais Gerais sammelten im brasilianischen Belo Horizonte an exponierten Orten wie in Krankenhäusern, Ambulanzen, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder an Busshaltestellen bei besonders viel benutzen Gegenständen wie Wartebänken oder Haltegriffen insgesamt 101 Oberflächenproben und untersuchten sie auf virale RNA (Abrahão et al. 2020). Forscher der Tuftsuniversity im amerikanischen Medford sammelten zwischen April und Juni 2020 in Somerville, einem Vorort von Boston, ca. 350 Oberflächenproben von exponierten Gegenständen wie Türgriffen, Deckeln von Mülleimern, Tastaturen und Tanksäulengriffen an viel frequentierten Stellen und in näherer Umgebung von Krankenhäusern abnahmen (Harvey et al. 2020).
Wenig überraschend war, dass sich die meisten positiven Proben in der Umgebung von Kranken fanden. Wobei die Ergebnisse hier auch prozentual stärker voneinander abwichen. Das Heinsberg-Team fand auf den 119 untersuchten Gegenständen in den Wohnungen der isolierten Coronakranken nur in 4 Fällen – dabei gleich auf zwei Fernbedienungen und nur auf eine Türklinke – virale RNA. Erfolgreicher war jedoch das Tel Aviver Team, das bei fast der Hälfe der Proben in den beiden Krankenhäusern und bei etwa einem Drittel der Proben des untersuchten Mobiliars im Quarantänehotel virale RNA-Spuren aufspürte. Bei den großflächigeren Test im brasilianischen Belo Horizonte und im amerikanischen Boston überwog auch deutlich der Anteil der positiven Proben im Innenbereich von Gesundheitseinrichtungen, wobei die Amerikaner hier von 350 Oberflächenproben nur 8 % positive Proben (29 insgesamt) fanden und die Brasilianer nur in etwa 17 % der Fälle fündig wurden.
Die Schlüsse, die die Teams daraus ableiteten, könnten jedoch nicht unterschiedlicher sein. Das hatte damit zu tun, dass die Teams (Belo Horizonte, Boston) zum Teil die nachgewiesene RNA als Indiz für infektiöse Viren interpretierten, während die anderen (Heinsberg. Tel Aviv) hier noch einen Schritt weitergingen und versuchten das gefundene virale Material zu Virenkulturen anzuzüchten.
Das brasilianische Team leitete trotz seiner nur knapp 17 positiven Funde, wovon nur 3 Proben relevante RNA-Mengen aufwiesen, der überwiegende Teil des Rest jedoch nur virale RNA von weniger als einem Virus, ab, dass dem Schutz vor einer Übertragung durch Schmierinfektionen in der Öffentlichkeit ein hoher Wert zugemessen werden sollte. Skurill ist, dass die Begründung dafür, dass in öffentlichen Verkehrsmitteln große Aufmerksamkeit der Oberflächendesinfektion gewidmet werden sollte, mit dem Fall des chinesischen Busses begründet wurde, den ich an anderer Stelle bereits zitiert habe, weil hier der Fall eine Übertragung durch die Luft nachgewiesen worden war.
Das Boston-Team spürte ähnlich wie das brasilianische Team in den meisten Fällen nur sehr geringe Mengen viralen RNA-Materials auf und kam so in Abschätzung zur Menge der gefundenen Oberflächen mit positivem RNA-Nachweis zu der Einschätzung, dass die Wahrscheinlichkeit einer Infektion über Obeflächen bei unter 5 von 10.000 Fällen liege und man bei den meisten Oberflächen weniger Ansteckungsangst haben müsse, als bislang befürchtet. Jedoch wurde das Risiko auch nicht mit Null bewertet. Wenn man bedenke, wieviel Oberflächen der einzelne jeden Tag berühre. Insbesondere bei Situationen wie im Restaurant mache eine gute Desinfektion Sinn, so der beteiligte Forscher Julian von der Eawag.
2. Viren von Oberflächen nicht mehr reproduzierbar?
In den Fällen, wo man im Alltag versuchte, aus viral kontaminierten Oberflächen reproduktionsfähige SARS-CoV-2-Viren anzuzüchten, sind diese Versuche alle gescheitert. Gleiches misslang auch schon bei SARS-CoV-1-Viren. Der Verdacht besteht, es auf Alltagsoberflächen überwiegend mit nicht infektiösen Viren-“Leichen” zu tun zu haben.
Andere Forscher, die sich mit der Materie befassen, schätzen das Risiko jedoch mit gutem Grund viel geringer ein. Und das hat wiederum zwischen einer generellen Unterscheidung von gefundenem RNA-Material und möglichen infektiösen Viren zu tun.
Alle Versuche aus den gewonnenen Oberflächenproben mit viralem RNA-Material reproduktionsfähige Viren anzuzüchten, wie das Heinsberg-Team um Prof. Streeck mit wenigen Proben und das Tel-Aviv-Team um Dr. Tal Brosh-Nissimov mit vielen Oberflächenproben dies versuchten, scheiterten. Streeck schlussfolgerte schon seinerzeit, dass viral kontaminierte Oberflächen bei der Pandemie wohl keine relevante Rolle spielen.
„Wir haben Viren auf Gegenständen oder Türklinken gefunden. Auch einmal im Toilettenwasser, wenn jemand Durchfall hatte. Es ist uns aber in keinem Fall gelungen, daraus intakte Viren anzuzüchten. Das deutet zumindest darauf hin, dass sich die meisten Menschen nicht über Oberflächen anstecken.“
Virologe Prof. Hendrik Streeck in Die Zeit
Diese Erkenntnis korrespondiert übrigens damit, dass es bereits bei SARS-Viren nicht gelungen war, Viren aus Oberflächenproben im realen Leben anzuzüchten. Die CDC hatte entsprechende Versuche vergeblich unternommen (Dowell et al. 2004). Mikrobiologe Prof. Emanuel Goldman, der sich eingehend mit der Materie befasst hat und bereits im Juli bei Lancet eine Kritik an der übertriebenen Oberflächenreinigung veröffentlicht hat (Goldman 2020), schlussfolgert:
“Die virale RNA ist das Equivalent einer Leiche von einem Virus. Sie ist nicht infektiös.“
Mikrobiologe Prof. Emanuel Goldman in Nature
Ähnlich hatte es auch Streeck formuliert:
“Das bedeutet, dass wir die RNA von toten Viren nachgewiesen haben.”
Virologe Prof. Hendrik Streeck
3. Überlebt das Virus wirklich so lange wie getestet? Der Unterschied zwischen Labor und Realität
Der Verdacht besteht, dass die Überlebenszeiten des Virus nur deshalb so hoch getestet sind, weil dabei extreme Mengen von Viren benutzt wurden und die Viren in eine feuchte Umgebung am Leben erhalten wurden. Wurden Virenzahlen im Labor reduziert und die Viren ausgetrocknet, reduzierte sich die Überlebensdauer der Viren drastisch.
Aber wurde die lange Überlebensdauer von Viren auf Oberflächen nicht in den oben genannten und weiteren Versuchen bestätigt? Hiergegen gibt es ernst zu nehmende Einwände von Virologen.
- Große Virenmengen im Labor verhalten sich anders als kleine in der Realität: Bei den Untersuchungen wurde mit außerordentlich großen Virenmengen operiert, wie sie auf Gegenständen eher nicht vermutet werden und in der Realität wohl auch nicht gefunden wurden. Die maximale Virenmenge die bei den oben zitierten Studien gefunden wurde war das virale Material von maximal 2990 genomischen Einheiten pro m2 (!). Bei einer Studie zu Virenmenge bei Influenza-Viren zeigte es sich, dass kleine Tröpfchen 10 bis 100 Viren transportieren. Bei den Untersuchungen wurde hingegegen mit Virenmengen in der Größenordnung von bis zu 10 Mio. Viren gearbeitet. Die meisten Versuche basierten auf Größenordnungen in aller Regel von 105 oder 106 Viren (vgl. etwa Liste bei Rabenau et. al 2020). Große Virenmengen verhalten sich im Hinblick auf den Zerfall jedoch anders als kleine: So zeigt die ermittelte Infektionsdauer eines Virus im Verhältnis zur Ausgangsmenge der Viren etwa bei SARS-CoV-1-Viren folgende Verhältnis: 106 Viren – 24 h; 105 Viren – 3 h 104 Viren unter 5 min (Lai et al. 2005)! Selbst 104 Viren sind im Alltag in einzelnen Tröpfchen selten zu erwarten. Bei Untersuchungen zur Influenza zeigte es sich etwa, dass 10 Minuten nachdem 20 kranke Studienteilnehmer ihre Hände durch Husten kontaminieren sollten gerade einmal noch 10 % der Probanten überhaupt “lebendige” Viren auf ihren Händen hatten (Mukherjee et al. 2012). Es ist also in Betracht zu ziehen, dass kleine Mengen auch von SARS-CoV-2-Viren auf Oberflächen binnen kürzester Zeit deaktiviert werden. Prof. Eugene M. Chudnovsky, Physiker an der City University of New York, macht darauf aufmerksam, dass es bei der Grippe Millionen von Virenkopien benötigt, um über ein Schmierinfektion jemand zu infizieren, während es nur ein paar Tausend Virenkopien benötigt, um jemanden direkt über die Lunge infizieren zu können. Ein ähnliches Verhältnis ist bei SARS-CoV-2-Viren wohl auch anzunehmen.
- Laborbedingungen mit Temperatur- und Feuchtigkeitskontrolle: Die Studien wurden unter besonderen Laborbedingungen vorgenommen und die Viren zum Teil durch eine aktive Feuchtigkeitskontrolle oder durch Auftragen der Viren in einem nicht austrocknenden Gel viel länger am Leben erhalten, als sie dies von selbst tun würden (vgl. etwa Prof. Emanuel Goldman in Nature). In feuchter Umgebung überdauert ein infektiöses Virus jedoch viel länger, während es aufgrund seiner Baus mit einer Fetthülle schnell austrocknet und zerfällt.
4. Nur 16 % Übertragungsreduktion bei Viren, die Atemwegserkrankungen auslösen – bei Erwachsenen noch viel weniger?
Die CDC weist daraufhin, das bei Viren, die Atemwegserkrankungen auslösen, (nur) in 16 % der Fälle Infektionen durch eine intensive Handhygiene verhindert werden können. Studien legen jedoch nahe, dass der Prozentsatz bei Erwachsenen noch viel geringer ist. Fällt Händeschütteln weg, was im Moment ja tabu ist, ist der Prozentsatz wohl noch sehr viel kleiner.
Dass Schmierinfektionen nicht der primäre Übertragungsweg von Atemwegsinfekten sind, war im Prinzip von Anfang an bekannt, nur der Öffentlichkeit nicht so deutlich kommuniziert worden. Es gab nämlich längst Untersuchungen dazu mit sich ähnlich verhaltenden Viren, die Atemwegserkrankungen auslösen. Eine Metauntersuchung – also eine Auswertung einer Serie von Einzelstudien –, auf die die amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC hinweist und die auf ihrer Webseite verlinkt ist, kommt – worauf ich schon an anderer Stelle hingewiesen habe (vgl. Menüpunkt Aerosolübertragung allgemein Indizien) zu dem Ergebnis, dass eine intensive Handhygiene zur Verhinderung von Schmierinfektionen das Ansteckungsrisiko bei diesen Viren durchschnittlich nur gerade einmal um 16 % drückt (Rabie und Curtis 2006). Eine weitere Metaanalyse kommt auf 21 % (Aiello et al. 2008). Bei den entsprechenden Untersuchungen war das Schütteln von Händen im Gegensatz zu jetzt noch kein Tabu – also in den 16 bzw. 21 % inkludiert. Es ist also sehr stark davon auszugehen, dass ohne Händeschütteln der Prozentsatz der durch intensive Handhygiene vermiedenen Übertragungen noch einmal stark reduziert wird. Denn entfällt das Händeschütteln, wird die Ansteckungskette komplizierter und tritt ja (sofern nicht ungeschützt gehustet, geniest oder gespuckt wird) noch ein vermittelnder Gegenstand dazwischen, auf dem dann Viren erst zwischengelagert werden, während sich die mögliche Infektionsdosis dort natürlicherweise schnell und stetig verringert, bevor die Viren jemand anderes an seine Hände und dann an die eigenen Schleimhäute schmieren kann.
Was mir jedoch noch wichtiger zu sein scheint, dass die Metastudie weitmehrheitlich auf Untersuchungen in Kleinkindertagesstätten und Schulen zurückgriff und der Anteil der Erwachsenen dort stark unterrepräsentiert ist. Wo gezielt nach dem Unterschied gefragt wurde (Hammond et al. 2000), zeigt sich, dass das Händewaschen bei Erwachsenen im Fall von Atemwegserkrankungen nur den halben Ansteckungsvermeidungseffekt zeigte wie bei den Kindern (19,8 % kontra 10, 1 %). Gerade in KiTas ist ja davon auszugehen, dass die Kinder ihre Hände und alle möglichen Gegenstände sehr oft in den Mund stecken und an ihrer Nase und ihren Augen reiben – alles doch wohl ohne Vergleich zu den Erwachsenen. Würde sich die zugrunde liegende Metastudie nur auf Daten stützen, die bei Erwachsenen erhoben wurden, wäre der Prozentsatz vermiedener Ansteckungen durch intensive Handhygiene wohl weit unter 16 % zu erwarten.
5. Selbst Rhinoviren eher über die Luft ansteckbar?
Eine Versuchsanordnung legte sogar nahe, dass selbst unbemantelte Viren wir erkältungauslösende Rhinoviren, von denen man annimmt, dass sie erheblich stabiler sind wie SARS-CoV-2-Viren, daher weniger schnell zerstört werden und primär über Schmierinfektionen übertragen werden, primär über die Luft übertragen werden.
Es wird gemeinhin angenommen, dass die etwa 150 Rhinovirenarten, die für viele Erkältungen beim Menschen verantwortlich sind, von der Struktur her viel stabiler seien als Coronaviren. Selbst Virologen wie Prof. Sandra Ciesek oder Prof. Christian Drosten, glauben, dass diese Stabilität dazu führt, dass Rhinoviren viel besser als SARS-CoV-2-Viren auf Oberflächen überleben können, und hier eine Schmierinfektion sehr viel wahrscheinlicher ist als bei SARS-CoV-2-Viren. Rhinoviren haben im Unterschied zu SARS-CoV-2-Viren keine Fetthülle und keine stachelige Oberfläche, so dass man annimmt, dass sie gegenüber SARS-CoV-2-Viren viel robuster sind. Rhinoviren sollen sich also leichter über Oberflächen verbreiten, während SARS-CoV-2-Viren sich besser über die Luft verbreiten. Entsprechend äußerte sich Prof. Ciesek im Podcast Coronavirus-Update in dieser Weise über Rhinoviren im Verhältnis zu SARS-CoV-2-Viren:
“Das ist aber wiederum anders bei Rhinoviren zum Beispiel, die keine Hülle haben. Hier muss man einfach sagen, dass die viel stabiler sind. Die überleben viel länger in der Umwelt und die lassen sich viel schwieriger inaktivieren.”
Virologin Prof. Sandra Ciesek
Ihr Kollege Prof. Christian Drosten äußerte sich im gleichen Podcast in einer anderen Folge:
“Es gibt Viren, die in die Nase gehen: häufig Schnupfenviren, also Rhinoviren und Enteroviren klassischerweise. Das sind Viren, die machen einen Fließschnupfen der Nase. Und das sind Viren, die – wahrscheinlich, muss man sagen, denn es gibt wenig Daten darüber – stärker davon leben, dass sie auf Oberflächen kleben und dann eben mit den Fingern in die Nase gebracht werden – beim Nasebohren.”
Virologe Prof. Christian Drosten
Drosten macht zu Recht darauf aufmerksam, dass die Oberflächenübertragung von Rhinoviren aber nur “wahrscheinlich” ist, tatsächlich aber aufgrund einer schlechten Datenlage nur in allen Lehrbüchern und Lexikonartikeln vermutet bzw. einfach vorausgesetzt wird. Nachdem, wie sich die Erkenntnislage im vergangenen Jahr verändert hat, gibt es keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass Rhinoviren nicht ebenfalls gut, wenn nicht sogar vorwiegend über Aerosole übertragen werden, selbst wenn ihre erheblich stabileren Strukturen die Übertragung via Schmierinfektion stark erleichtern. Tatsächlich weist eine bereits ältere Studie von Forschern der University of Wisconsin, Madison, genau auf diesen Befund hin und lässt an der leichten Übertragbarkeit selbst von Rhinoviren über Schmierinfektion zweifeln (Dick et al. 1987).
Die Forscher dieser Studie versuchten den Übertragungsweg von erkältungsverursachenden Rhinoviren durch ein gemeinsames Kartenspielen von Infizierten und Gesunden nachzuvollziehen, also in einer Weise, die sich im Fall von SARS-CoV-2-Viren aufgrund des hier vorhandenen hohen persönlichen Risikos verbietet. Einmal wurden die Gesunden beim direkten Spiel mit den Kranken angewiesen, die Karten nicht zu berühren. Trotzdem infizierte sich die Hälfte der gesunden Spieler – also nicht über kontaminierte Oberflächen. Ein anderes Mal sollten die Erkrankten alle Karten durch gezieltes Anhusten kontaminieren. Im Anschluss daran spielte eine gesunde Kontrollgruppe in einem anderen Raum mit den viral kontaminierten Karten und wurden gebeten, sich während des Spiels exzessiv die Augen und die Nase zu reiben. Trotzdem steckte sich kein einziger der Probanten dabei an, wiewohl doch Rhinoviren immer als Beispiel von Schmierinfektionsübertragung genannt werden. Dieser Versuch dokumentiert, wie stark auch hier und gegen eine breite Überzeugung in der Medizin die Übertragung durch die Luft der dominante Übertragungsweg zu sein scheint, während die Schmierinfektion wohl eine untergeordnetere Rolle zu spielen scheint.
Um wieviel schwieriger mag es dann wohl sein, sich bei den viel zerbrechlicheren SARS-CoV-2-Viren mit Corona über bloße Kontakte anzustecken?
6. Fehlender Nachweis von Schmierinfektionen bei Corona im realen Leben
Sich durch Schmierinfektion anstecken zu können ist möglich, und es sind auch Situationen plausibel, wo dies geschieht. Aber tatsächlich fehlt offenbar bis heute jeder eindeutige Beleg dafür, dass eine Übertragung durch Schmierinfektionen eine bestimmte Covid-19-Infektion bei einer konkreten Person oder Personengruppe erklärt. So schreibt das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung in einem im November 2020 erstellten und im Februar 2021 aktualisierten Antwortenkatalog auf besorgte Nachfragen zum Coronavirus:
Es gibt derzeit keine Fälle, bei denen nachgewiesen ist, dass sich Menschen … durch Kontakt zu kontaminierten Gegenständen mit dem neuartigen Coronavirus infiziert haben. Auch für andere Coronaviren sind keine Berichte über Infektionen durch… den Kontakt mit trockenen Oberflächen bekannt…
Diese Aussage ist keine deutsche Sondermeinung, sondern wird so auch von anderen Quellen bestätigt. Auch die WHO gab in ihrem Scientific Letter vom 9. Juli 2020 bekannt:
„Trotz übereinstimmender Hinweise auf eine SARS-CoV-2-Kontamination von Oberflächen und das Überleben des Virus auf bestimmten Oberflächen gibt es keine spezifischen Berichte, die eine Oberflächenübertragung direkt nachgewiesen haben…”
Das ist der nüchterne Befund. Zwei chinesische Studien, die Ansteckungen über Oberflächen vermuteten, wurden als nicht beweiskräftig angesehen. In einem Fall soll sich jemand infiziert haben, weil er einen Zahnstocher benutzt hatte, nachdem er im Aufzug einen kontaminierten Knopf gedrückt hatte, der gerade zuvor von jemand benutzt worden war, der sich an der Nase gerieben hatte (Xie et al. 2020). Im anderen Fall sollen sich Menschen durch Abwasser, in das sie getreten waren, infiziert haben (Juan et al. 2020). In keinem der Fälle konnten jedoch alternative Ansteckungswege ausgeschlossen werden.
II. Einschätzungen und Konsequenzen
1. Einschätzung von Experten zur Oberflächenübertragung auf der Basis (einiger) der hier angeführten Beobachtungen: Oberflächen könnten infizieren, aber eher nur kurze Zeit und unter besonderen Bedingungen
Kein zweifelsfreier Beleg im realen Leben, dass sich jemand je über Oberflächen mit Corona angesteckt hat; der Nachweis, dass sich Corona viel leichter über die Luft und allenfalls Tröpfchen verbreitet als über Oberflächen (vgl. Menüpunkt Vergleich Ansteckungswege); der Verdacht, dass sich selbst viel stabilerer Erkältungsviren eher über die Luft übertragen; die vergleichsweise geringe Ansteckungsvermeidung bei intensiver Handhygiene; die nur kurze nachgewiesene Überlebensdauer von Virenkleinstmengen auf Oberflächen; die Nichtaktivierbarkeit von SARS-CoV-2-Viren aus Alltagsproben im Umfeld von Kranken… Da muss doch die Frage aufkommen, ob sich dieses Virus überhaupt über Oberflächen verbreitet und warum dieser riesige Aufwand in Sachen Hygiene seit Beginn der Pandemie betrieben wurde?
Die Antwort ist die: Es handelt sich um eine Vorsichtshalberannahme, da die Übertragbarkeit über Oberflächen prinzipiell plausibel erscheint, und niemand die Konsequenzen tragen möchte, wenn man sich in der Einschätzung irrt, dass von Oberflächen keine oder nur eine sehr geringe Ansteckungsgefahr ausgeht. In diesem Sinne schreibt die WHO in dem bereits zitierten Scientific Letter unter Berufung auf Infektionen bei großer Nähe und auf angenommene Schmierinfektionen bei anderen Atemwegsviren:
“Die Schmierinfektion gilt jedoch als wahrscheinliche Übertragungsart für SARS-CoV-2, da konsistente Erkenntnisse zur Übertragung im Fall von Nähe bei Infizierten und die Tatsache, dass andere Coronaviren und Atemwegsviren auf diese Weise übertragen werden können, übereinstimmen.“
Zu dem Zeitpunkt zog die WHO offenbar noch nicht konsequent genug in Betracht, dass die Ansteckungen im Fall von Nähe wohl mehr mit Aerosolübertragung zu tun haben könnten als mit Kontaktübertragung.
Andere zogen ihre Schlüsse konsequenter: Kontaktübertragungen über Oberflächen mag es geben. Aber sie sind nur innerhalb eines kürzeren Zeitraums und nur unter bestimmten Bedingungen plausibel. So schreibt das Bundesamt für Risikoeinschätzung trotz fehlender Belege eine Ansteckung über Schmierinfektionen:
Übertragungen über Oberflächen, die kurz zuvor mit Viren kontaminiert wurden, sind allerdings durch Schmierinfektionen denkbar. Aufgrund der relativ geringen Stabilität von Coronaviren in der Umwelt ist dies aber nur in einem kurzen Zeitraum nach der Kontamination wahrscheinlich.“
Auch der Zürcher Infektiologe Hugo Sax, der selbst relevante Oberflächenuntersuchungen mit Grippeviren gemacht hat, schlussfolgert aus seiner Erfahrung im Hinblick auf die Übertragbarkeit von SARS-CoV-2-Viren über Oberflächen:
“Oberflächen im Allgemeinen sind kein Risiko, es kann aber immer sein, dass in bestimmten Situationen – wenn schnell hintereinander Menschen, die vielleicht kontaminierte Hände haben Oberflächen anfassen – die Viruskonzentration so hoch wird, dass es doch zu einer Übertragung kommt.”
Infektiologe Prof. Hugo Sax
Sax hatte hierbei hauptsächlich Türgriffe und Tische in Krankenhäusern im Blick.
„Meiner Meinung nach ist die Chance der Übertragung durch unbelebte Oberflächen sehr gering, und nur in Fällen, in denen eine infizierte Person auf eine Oberfläche hustet oder niest, und jemand anderes berührt diese Oberfläche kurz nach dem Husten oder Niesen (innerhalb von 1-2 h).“
Mikrobiologe Prof. Emanuel Goldman
2. Konsequenzen: Menge und Qualität der Anweisungen zur Vermeidung von Kontaktübertragung stehen oft in keinem Verhältnis zum Gesamtnutzen einer Ansteckungsvermeidung
Es ist schwierig, den genauen Anteil an möglichen Kontaktübertragungen (Schmierinfektionen) abzuschätzen, wenn überhaupt nicht sicher ist, ob dieser Ansteckungsweg überhaupt relevant ist. Weitgehende Einigkeit besteht zumindest in der Einsicht, dass der Anteil der Ansteckungen auf diesem Weg im Verhältnis zu dem, was über Tröpfchen und Aerosole übertragen wird, gering ist.
Ein Team um Prof. Christophe Fraser vom Big Data Institute in Oxford veröffentlichte bereits im letzten Mai den Versuch einer mathematischen Verteilung der Ansteckungswege in der Fachzeitschrift Science (Feretti et al. 2020). Für die vorliegende Frage relevant schreiben die Forscher:
„Die Beiträge zu R0 umfassten 46% von präsymptomatischen Personen (vor dem Auftreten von Symptomen), 38% von symptomatischen Personen, 6% von asymptomatischen Personen (die nie Symptome zeigen) und 10% von der umweltvermittelten Übertragung durch Kontamination. Die Ergebnisse zu den letzten beiden Übertragungswegen sind spekulativ.“
Team um Prof. Christophe Fraser
Virologe Prof. Christian Drosten rechnet im Coronavirus Update des NDR bei den Kontaktübertragungen mit einem Anteil von 10 % aller Ansteckungen:
“Wenn ich das alles zusammenfasse, dann ist mein Bauchgefühl: Fast die Hälfte der Übertragung ist Aerosol, fast die andere Hälfte der Übertragung ist Tröpfchen und vielleicht 10 Prozent der Übertragung ist Schmierinfektion oder Kontaktinfektion.“
Prof. Christian Drosten, Virologe
Die Angabe von 10 Prozent zur Kontaktübertragung ist wie das Team Fraser schreibt spekulativ: Sie könnte durchaus auch noch niedriger sein und bei 5 % oder auch unter 1 % liegen. So äußert sich etwa der Präsident der Bundesärztekammer in Deutschland Dr. Klaus Reinhard zur Übertragung von SARS-CoV-2 in diesem Sinne radikaler:
“Sie findet ausschließlich über den Luftweg statt und nicht über Schmierinfektionen, also über die Verunreinigung von Flächen… “
Dr. Klaus Reinhard, Präsident der Deutschen Ärztekammer
Allgemeinmediziner Dieter Kissling äußerte sich bereits im März 2020 bei einer Expertenbefragung im Schweizer SRF:
“Auch wenn es Studien gibt, die ein Überleben des Coronavirus auf nicht lebendigen Oberflächen bis zu 9 Tage unter Laborbedingungen nachgewiesen haben, sind noch keine Übertragungen durch Berühren von Oberflächen bekannt geworden. Somit ist diese Form der Ansteckung im wirklichen Leben nicht relevant.“
3. Hygienetheater – für 5 bis 10 % Ansteckungsvermeidung 30 bis 50 % der Anweisungen in Hygienekonzepten – wo bleibt die Relation?
Die Extremposition einer absoluten Leugnung von Schmierinfektionen, wie etwa von Klaus Reinhard geäußert, ist nicht hilfreich, weil das Restrisiko einer Oberflächeninfektion nicht auszuschließen ist. Es ist besser, wenn wir uns auch auf diesem Gebiet vorsichtshalber prophylaktisch verhalten und gewisse Schutzmaßnahmen einhalten. Das ist bei vielen Gesundheitsorganisationen, die die Möglichkeit einer Kontaktübertragung als gering einschätzen, auch so Konsens.
Diese Vorsichtshalberhaltung sollte aber auch als eine solche angesehen und nicht zur Hauptsache deklariert werden, wie dies leider zu häufig geschieht oder sich zumindest ein solcher Eindruck vermittelt. Oft wird zum Schaden vieler Betroffener kein Augenmaß gehalten, und viele Schutzkonzepte in allen möglichen Bereichen suggerieren durch aufwändige Maßnahmeempfehlungen hinsichtlich der Ansteckungsvermeidung bei Oberflächen, dass hier Wesentliches zum Schutz der Bevölkerung getan wird. Dabei gerät völlig aus dem Blickfeld, dass die Gesamtheit der Hygienemaßnahmen offenbar nur 2 Personen oder auch nur 1 von 20 Personen – wenn überhaupt – vor einer Ansteckung bewahrt. Schutzkonzepte, die der Kontaktübertragung eine zu große Rolle beimessen und womöglich großflächige Desinfektionsmaßnahmen installieren, geraten so in den Verdacht, zu Hygienetheater zu verkommen – umso mehr dann, wenn die eigentlich wichtigen Aspekte wie die Verringerung gemeinsam geatmeter Luft dabei aus den Augen verloren werden.
Der Begriff wurde in Amerika analog zu Security Theatre eingeführt. Als Security Theatre werden dabei Sicherheitsmaßnahmen bezeichnet, die nach 9/11 etabliert wurden und Sicherheit vorgaukeln, die im Ernstfall dann doch nicht besteht. Hygiene Theatre meint dementsprechend das Vorgaukeln einer falschen Sicherheit durch einen übertriebenen Aktionismus hauptsächlich bei der Desinfektion von Flächen und Räumen.
Tatsächlich dürften die meisten Ansteckungen, die auf Kosten einer Kontaktübertragung gehen könnten, bereits durch die Vermeidung von Berührungen bei Begrüßung und Verabschiedung verhindert werden können. Hier findet der unmittelbarste Kontakt statt und hier besteht die größte Gelegenheit, Viren tatsächlich weiterzureichen. Daneben kommt auch dem häufigen Waschen von Händen – gegebenenfalls auch der Händedesinfektion – eine wichtige Rolle zu. Prof. Joseph G. Allen von der T. H. Chan School of Public Health in Harvard fasst die unwahrscheinlichen Prozesse zusammen, die nach Kontaktvermeidung bei der Begrüßung und dem Waschen von Händen noch zusammenkommen müssen, um für eine Kontaktübertragung zu sorgen:
“Zunächst muss das Virus auf eine Oberfläche übertragen werden, entweder durch eine kranke Person, die sie berührt, oder durch die Landung von Atemtröpfchen. Einmal auf der Oberfläche beginnt das Virus zu zerfallen, und die Studien, die zeigen, dass das Virus auf einer Oberfläche für eine lange Zeit überleben kann, verwenden unrealistisch große Mengen davon – wie höchstens, wenn jemand einen Klecks Speichel auf die Oberfläche spuckt. Das genetische Material des Coronavirus wurde auf allen möglichen Oberflächen in Krankenhäusern und in der Luft gefunden, aber interessanterweise wurde es nur erfolgreich aus der Luft kultiviert. Keine Datenstudien, die uns bekannt sind, haben das Virus von Oberflächen kultiviert. Selbst wenn Sie die unglückliche Person wären, die sofort einen Türgriff schnappt, direkt nachdem eine infektiöse Person darauf geniest hat, würde es eine signifikante Verringerung der Art und Weise geben, wie viel von der Oberfläche auf Ihre Hand übertragen wird. Dann ist die Zeit wieder Dein Freund, der das Virus inaktiviert, auch wenn es auf ihrer Hand ist.”
Prof. Joseph G. Allen, Mediziner an der School of Public Healt in Harvard
Alle weiteren Maßnahmen über Begrüssungskontaktvermeidung und Händewaschen hinaus helfen im Hinblick auf Corona in vielen Situationen allenfalls, noch einen sehr kleinen Prozentsatz an Ansteckungen zu verhindern. In Krankenhäusern mit Corona-Patienten und an Restaurant-Tischen, wo die Oberflächenkontamination durch vorangegangene Gäste plausibel ist, haben solche Maßnahmen ihren Platz. Nicht aber in vielen anderen Situationen – wozu auch die normale Chorsituation gehört.
Prof. Allen hält demzufolge die Oberflächeninfektion über das Händewaschen hinaus nur für begrent sinnvoll und vergleicht sie als Maßnahme bei Corona mit dem Versuch der Beseitigung von Zigarettenraum durch Waschen von Oberflächen:
“Die Realität ist, dass sich das neuartige Coronavirus hauptsächlich durch die Luft ausbreitet. Gerade beim regelmäßigen Händewaschen ist es nicht notwendig, Oberflächen ständig zu desinfizieren… Wie sehr können Sie sich vor… Rauch schützen, indem Sie Arbeitsplatten, Türklinken und alle anderen Oberflächen im Raum abwaschen? Nicht sehr. Gemeinsame Luft ist das Problem, nicht gemeinsam genutzte Flächen.”
Prof. Joseph G. Allen, Mediziner
Tatsächlich hat die Reinigung von Oberflächen mehr den Effekt, dass die Menschen psychologisch beruhigt werden. Entsprechende Studien zeigen das (etwa diese). Im Zweifelsfall wüsste ich dann doch lieber, wie ich eine tatsächliche Ansteckung vermeiden kann, anstelle mich durch eine psychologische Tröstung in falscher Sicherheit zu wägen – zumal wenn man weiß, wie hier bei dieser Webpräsenz gezeigt, um welche Größenordnungen die Gefahr eine Übertragung über Aerosole die Gefahr einer Übertragung über Oberflächen beim Singen überwiegt.