
Menüpunkt aktuell erst im Aufbau
Inhalt dieses Menüpunkts
I. Zum Zweck dieses Menüpunkts
II. Evidenzbasierte, situationsangepasste oder unabhängig davon etablierte Maßnahmen?
III. Diskussion konkreter Maßnahmen
In diesem Menüpunkt – der sich aktuell im Aufbau befindet – möchte ich nach und nach mögliche Schutzmaßnahmen, die ein möglichst sicheres Singen in Gruppen ermöglichen sammeln (Tipps sehr willkommen!) und anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse transparent machen und diskutieren, warum diese oder jene Schutzmaßnahme beim Gruppensingen mehr oder weniger sinnvoll ist oder auch nicht, um das Ansteckungsrisiko mit Corona zu minimieren. Die Hoffnung vieler ruht im Moment darauf, dass Maßnahmen nach einer weitreichenden Impfung der Bevölkerung nicht mehr nötig sein werden. Das Beste ist, wenn dies eintrifft und wir zum vorpandemischen Chorbetrieb zurückkehren können. Wenn nicht, dann ist es umso wichtiger, dass das Repertoire an Schutzmöglichkeiten und ihre jeweilig Effizienz bzw. auch Nichteffizienz Verantwortlichen von Gruppengesangsevents bekannt ist, damit wir trotzdem agieren können. Die anfänglichen Hygienekonzepte für Singgruppen basierten wenn auch auf Abstandhalten, so doch vielfach schwer gewichtet auf der Vermeidung von Kontaktübertragungen. Das Problem liegt aber, wie wir heute wissen (und für Singgruppen gilt dies ganz besonders) hauptsächlich in der Benutzung gemeinsamer Luft, und allenfalls (wenn überhaupt) in der Benutzung gemeinsamer Oberflächen. Singgruppen sollten mit ihren Hygienekonzepten also auf diesen veränderten Befund in der Wissenschaft angemessen reagieren, wenn Hygienekonzepte nicht nur eine Alibifunktion erfüllen sollen, sondern am wirklichen Schutz der Beteiligten interessiert sind. Wie dem auch sei, möchte ich Ideen zu Schutzmaßnahmen aller Art hier diskutieren. In Kurzform, aber nicht zu allen Themen, haben etwa die Professoren des Freiburger Instituts für Musikermedizin Bernhard Richter und Claudia Spahn, sowie Prof. Dirk Mürbe, Leiter der Abteilung Audiologie und Phoniatrie der Charite Berlin, aber auch weitere Erklärungen hierzu und Handlungsempfehlungen abgegeben.
I. Zum Zweck dieses Menüpunkts
Im Unterschied zu den genannten und seinerzeit im Frühjahr nötigen Handlungsempfehlungen sehe ich es nicht als meine Aufgabe an, dass am Ende eine Liste konkreter Handlungsempfehlungen steht. Vielmehr möchte ich versuchen anhand von wissenschaftlichen Daten und Argumenten ein Bewusstsein für den Wert der unterschiedlichen Maßnahmen zu schaffen. Die Ausführungen können dann für Chor- und Ensembleleiter*innen und für alle Interessierte als eine Grundlage dienen, individuell angepasste Hygienekonzepte zu entwickeln und möglicherweise zusätzliche sinnvolle Schutzmaßnahmen etablieren zu können, um mit Singgruppen möglichst effizient und gleichzeitig geschützt singen zu können, so lange wir noch mit der Pandemie zu kämpfen haben und noch nicht wieder zur Tagesordnung übergehen können. Auch bekommen maßnahmenskeptische Sängerinnen so die Möglichkeit, möglicherweise verordnete Maßnahmen nachvollziehen zu können und nicht als unnötige Schikane zu begreifen. Diese Maßnahmen haben nichts mit der aktuell von vielen verhassten staatlichen Reglementierung zu tun, sondern dienen uns freiweillig als Schutz. Umgekehrt könnten aber auch die ängstlicheren Sänger neuen Mut fassen, wieder zu kommen, wenn sie sehen, dass Schutzmaßnahmen sinnvoll eingeführt wurden.
Wenn sich die Situation durch Impfung und geeignete Medikation wieder hoffentlich entspannt, machen sich viele der Schutzmaßnahmen im Idealfall überflüssig. Aber vielleicht müssen wir lernen, eine Weile mit dem besonderen Infektionsrisiko zu leben, und sollten darum Sicherheitsmaßnahmen etablieren, die wenigstens eine Zeit lang als notwendig akzeptiert werden, weil man ihren Nutzen einsieht. Völker die in Malaria-Gegenden wohnen, haben gelernt sich mit den diesbezüglichen Ansteckungsrisiken zu arrangieren: Man schmiert sich mit nicht angenehm riechenden Pasten ein, um Mücken zu vertreiben, schläft mit Moskitonetz und verlässt möglicherweise abends nicht das Haus. AIDS hat bei seinem Auftreten in den 1980er Jahren zur Kampagne Safer Sex geführt. Vielleicht ist es nötig, für eine Weile – hoffentlich nicht zu lange! – eine Art Safer Singing (so auch der Titel einer amerikanischen Risikoeinschätzungen zum Singen, Naunheim et al. 2020 und einer Empfehlung des englischen Gesundheitsministeriums für Singgruppen) zu praktizieren: d. h einen Maßnahmenkatalog ernst zu nehmen, der zeigen könnte, dass Singen auch unter den Pandemiebedingungen möglich ist, ohne immer wieder zu Superspreader-Events oder zu Gruppenansteckungen beim Singen zu führen. Es ist sehr zu hoffen, dass eine Kombination aus guter Behandlungsmöglichkeiten und Impfung das Safer Singing wieder überflüssig macht, damit Chorsingen wieder die gleich Freude und den gleichen Anreiz gibt wie vor der Pandemie.
Wer konkrete Empfehlungen zu Schutzmaßnahmen ausspricht, sollte sich im Idealfall seiner Sache sicher sein, vor allem dann, wenn es um die Grenzen nach unten oder zum Geradenoch geht. Dessen ungeachtet weisen viele Handreichungen und Hygienekonzepte für Singgruppen, wie andernorts ausschnittweise von mir gezeigt, zum Teil deutliche Abweichungen auf, die Chorleitende und Singende mit Fragezeichen über das Warum dieser Abweichungen zurücklässt. Dies Gründe für die Abweichungen sind wohl unterschiedlich:
- Einschätzungen weichen auch unter Fachleuten schlicht voneinander ab.
- In manchen Fragen lagen zum Zeitpunkt der Hygienekonzepterstellung oder Empfehlung nur wenig oder zu wenige wissenschaftliche Erkenntnisse vor, so dass auch Improvisation gefragt war.
- Die Grundlagen für die Hygienekonzepterstellung waren unterschiedlich gut recherchiert. Zum Teil wurde Gruppensingen nicht als eine Tätigkeit wahrgenommen wird, die Schutzmaßnahmen über die allgemein verordneten bräuchte, weil nicht bekannt war, dass hier wenigstens zum Teil andere Mechanismen (erhöhte und spezifische Aerosolproduktion, andere Atembedingungen vgl. Menüpunkt Aerosolübertragung beim Singen) zum Tragen kommen als im normalen Umgang.
- Man versucht den Spagat zwischen Praktikabilität und Sicherheit zu gehen. Ein Hygienekonzept soll ja Singen ermöglichen und nicht unmöglich machen. Gelegentlich wurde dazu aber meines Erachtens die Sicherheitsschraube bedenklich nach unten gedreht.
- Zum Teil haben die Abweichungen aber auch etwas mit konkreten Handlungsvorgaben staatlicher oder institutioneller Instanzen zu tun.
Ich möchte im Folgenden zeigen, auf welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen empfohlene Schutzmaßnahmen basieren bzw. welche Forschungsergebnisse uns Möglichkeiten und Grenzen zur Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen aufzeigen. Leider gibt es immer noch viele Fragezeichen und ungeklärte Punkte. Wie gesagt geht es nicht darum, dass am Schluss ein fixer Wert steht, an den sich alle zu halten hätten, sondern darum, ein Bewusstsein für die Gefährdungsgrade und die Schutzmöglichkeiten dagegen zu schaffen.
II. Evidenzbasierte, situationsangepasste oder unabhängig davon etablierte Maßnahmen?
1. Wir schauen einmal: Evidenzbasierte Sicherheitsmaßnahmen?
Erläuterungstext zum evidenzbasierten Vorgehen in Singgruppen
Bei einem Webinar amerikanischer Chor- und Gesangslehrerverbände äußerte sich die Präsidentin, die als Fachexpertin zu Schutzmaßnahmen im Chor befragt wurde, in für Chöre schockierender Weise:
“Es gibt keine sichere Möglichkeit für Sänger, gemeinsam zu proben, bis ein COVID-19-Impfstoff und eine zu 95 Prozent wirksame Behandlung vorhanden sind… Seien sie geduldig: Chorsingen kommt zurück.”
Prof. Dr. med Lucinda Halstead
In der Erwartung maximaler Sicherheit hat Lucinda Halstead recht. Amerikanische Wissenschaftler wollten diese Einschätzung jedoch so nicht stehen lassen, sondern plädierten für ein evidenzbasiertes Vorgehen (Naunheim et al. 2020). Sie sagten: Bevor wir den Chorbetrieb ganz stoppen, schauen wir, ob es nicht vielleicht doch irgendwie geht. Trotz noch mangelnder Erkenntnisse wollen wir auf der Grundlage vernünftiger Überlegungen Empfehlungen abgeben und dann sehr aufmerksam beobachten, ob und wie Singgruppen weiter betroffen sein werden. Dabei räumten sie ein:
“Diese Punkte sind nur als Empfehlungen zu verstehen. Sie basieren auf spärlichen und oft schwachen wissenschaftlichen Beweisen und auf ,gesundem Menschenverstand’, der zwar auf einer Fülle von Erfahrungen basiert, sich aber dennoch als falsch erweisen könnte.”
Team Naunheim et al. 2020
In diesem Sinne äußerten sich auch andere, etwa Prof. Michael Fuchs in seiner Risikoeinschätzung zum Chorgesang. Er empfahl, am Anfang vorsichtshalber lieber strengere Schutzmaßnahmen einzuhalten – aber mit der Aussicht auf erfahrungsbasierte Erleichterungen:
“Wir wollen versuchen, schrittweise immer mehr Erleichterungen für den Chorgesang zu ermöglichen. Wir brauchen dazu aber Zeit, weil wir Erfahrungen sammeln müssen. Wir sollten’s nicht übertreiben. Es kann uns auch passieren, dass wir einmal einen Schritt zurückgehen müssen”
Prof. Michael Fuchs, Musikermediziner
Viele Chorverbände gingen im Prinzip in Wort und Tat so vor. Sie haben auf der einen Seite, nachdem Singen wieder erlaubt war, selbst zur vorläufig grössten Vorsicht aufgerufen. So empfahl beispielsweise die Schweizer Chorvereinigung noch in ihrem ersten Schutzkonzept vom 27. 5. 2020:
“Es wird um allerhöchste Vorsicht beim Durchführen von Chorproben in den ersten Wochen gebeten”.
In den Taten sah das so aus, dass viele Chorverbände anfangs sehr vorsichtige Maßnahmen emfahlen (z. B. sehr kleine Gruppengrössen von max. 9 oder 12 Teilnehmern; Singen außen ist nicht nur erste Wahl, sondern wird gefordert; die Singenden dürfen nur alle 14 Tage an einer Chorprobe teilnehmen und einiges mehr). Als dann in den ersten Wochen keine größeren Ausbrüche von Corona in Chören bekannt wurden, wurden als erstes die ganz strengen Regeln zurückgenommen und die sehr vorsichtigen Hygienekonzepte durch pragmatischere ersetzt, die wieder mehr Handlungsspielraum ließen. Allerdings hatten die Chorverbände dabei zum Teil nicht gut im Blick, welchen Einfluss die Menge der Ansteckungszahlen in der Bevölkerung hat oder haben könnte und dass SARS-CoV-2 ein Virus ist, der sich in der Heizperiode besser verbreitet, während er in der warmen Jahreszeit einen schwereren Stand zu haben scheint. Erleichternde Updates zu den chorischen Hygienekonzepten erschienen darum just zum falschen Zeitpunkt im September, wo die Ansteckungszahlen wieder exponentiell und sichtbar stiegen und Chöre sich wieder mitunter zu 80 % infiziert haben. Dass im Sommer weniger passiert ist, scheint uns nahezulegen, dass wir im Sommer entspannter sein können. Es scheint sehr nahe liegend zu sein, dass die starken Ansteckungszahlen im Herbst der beginnenden Heizperiode zu verdanken sind – aber bis zum Letzten gesichert ist das nicht. Um zu wissen, wie man im Voraus angemessen evidenzbasiert beim Chorgesang auf den Unterschied zwischen winterlichen und sommerlichen Bedingungen reagieren soll, müssten rein theoretisch mehrere Jahre verstreichen, wenn man nicht gleich die Erfahrung von diesem Jahr zugrunde legt. Man kann nur hoffen, dass das infolge der angehenden Impfung nicht nötig sein wird.
Ein weiterer offener Punkt ist: Wie reagieren wir den evidenzbasiert (medizinisch gesprochen auf der Grundlage empirischer Wert), wenn überhaupt nicht die dafür nötigen Werte bekannt werden? In der Schweiz habe ich privat und unabhängig voneinander aus drei verschiedenen Quellen von drei nennenswerten Ausbrüchen mit mindestens mehreren Infizierten an privaten und staatlichen Opern-/Operrettenbühnen erfahren, die in keiner Zeitung standen. Das legt nahe, dass das wohl auch in anderen Ländern weit öfter vorgekommen ist, als irgendwelche Medien darüber berichtet haben und als wir dies wissen können. Viele in Medien dokumentierte Ausbrüche in Chören und an Opern in anderen Ländern sind hierzulande zudem überhaupt nicht bekannt (vgl. Menüpunkt Betroffene Singgruppen). Ich weiss von einem Ausbruch in einem Chor, wo Sänger*innen anderer Chöre des gleichen Orts nichts davon wussten. Es gibt bei Chören keine Meldestelle für so etwas, dass man empirische Werte bekommt und so evidenzbasiert reagieren kann.
Was aktuell (Dezember 2020) noch völlig unklar ist: Wie reagieren wir denn evidenzbasiert auf den Fortschritt der Impfungen? Gegenwärtig ist nicht klar, wie viele Menschen sich impfen lassen. Impfstoffen zu vertrauen, denen die sonst jahrelange Beobachtung von Langzeitfolgen fehlt, ist durchaus Grund zu berechtigter Skepsis. Man wird also sehen müssen und abwarten: Vielleicht lassen sich ja auch Impfskeptiker impfen, wenn sie sehen, dass wenig Negatives dadurch passiert und sich im besten Fall keine schwerwiegende Langzeitwirkungen abzeichnen. Wir könnten durch die Impfentwicklung am Ende des nächsten Sommers theoretisch in der Situtation sein, dass die Hälfte der Bevölkerung geimpft ist und die andere nicht. Dann könnte immer lauter gefordert werden, dass die beschränkenden Sicherheitsmaßnahmen aufgehoben werden. Unter der Voraussetzung hätte man aber zu Beginn des Herbstes möglicherweise wieder mit einer neuen Welle zu rechnen, wenn noch keine Herdenimmunität da ist (von der wir noch nicht wissen, ob es sie überhaupt gibt – s. u.). Evidenzbasiert (auf der Erfahrung dessen, wie die Infektionszahlen im Jahr 2020 mit Beginn der Heizperiode sprunghaft angestiegen sind) wäre es also klug, besonders wachsam um diese Jahreszeit zu sein und trotz Impffortschritt mit Schutzmaßnahmen im Chor zu operieren – zumal wenn man weiß, wie hoch die Ansteckungsgefahr bei Singgruppen vorläufig noch sein wird. Ich gedenke die Situation zu beobachten und gegebenenfalls mit einer Änderung dieses Abschnitts zu reagieren.
Wenn wir also evidenzbasierte Maßnahmen fordern, sollten wir tatsächlich auch über Vorkommnisse aller Art informiert sein und alle wichtigen Parameter wie Jahreszeit, Ansteckungszahlen, Impffortschritt und möglicherweise noch weitere im Auge behalten. Wir sollten dabei nicht die von der Erfahrung unabhängigen wissenschaftlichen Erkenntnisse außer Acht lassen. Es spricht etliches dafür, in unserem eigenen Interesse vorläufig noch höhere Sicherheitsstandards anzulegen, bis allgemein Entspannung in Sicht ist. Um evidenzbasiert reagieren zu können, müssten wir auch informiert sein, was uns berechtigt, evidenzbasiert Erleichterungen zu fordern. Gegenwärtig habe ich gesehen, dass nicht einmal in Chören der gleichen Orte bekannt ist – es gibt keine Verpflichtung der Presse, darüber zu berichten -, dass ein anderer Chor des Orts sich infiziert hat. Und das könnte bei großen Ansteckungszahlen eher die Regel als die Ausnahme sein.

Wenn man unter Pandemiebedingungen nicht vorsichtshalber ganz aufs Singen verzichten wollte, was von Fachleuten zum Teil auch empfohlen wurde, dann war es anfänglich nur möglich, sich umsichtig vorzutasten und die Grenzen auszuloten und zu schauen was passiert. Das ist ein sogenanntes evidenzbasiertes Vorgehen und basiert auf empirischen Beobachtungen. Das die Krankheit neu ist und jetzt auch die Impfungen als Gegenmittel neu sind, haben wir bis zu einem gewissen Maß gar keine andere Wahl als so vorzugehen. Das evidenzbasierte Vorgehen kann aber auch zu Trugschlüssen führen. Etwa dadurch, dass empirische Daten, die zeigen, wie weit man gehen kann oder eben auch nicht, gar nicht publik werden. Oder dadurch, dass man einfach Erfahrungswerte aus dem Sommer bei Niedriginzidenzwerten und sehr guter Lüftungsmöglichkeit auf die kalte Jahreszeit überträgt. U. ä. m.
2. Ampelsystem – Situationsvorgegebene Sicherheitsmaßnahmen?
Erläuterungstext zur Frage situationsvorgegebener Schutzmaßnahmen
Eine andere Überlegung, Sicherheitsmaßnahmen von etwa abhängig zu machen, ist eine fixe Bindung eines Regelwerks an ein regionales Infektionsgeschehen. Die Initiative geht hier zumeist vom Staat aus, der ein Ampelsystem einrichtet, bei dem verschiedene Sicherheits- oder Maßnahmenstufen abhängig gemacht werden von der Anzahl der Infektionen pro einer bestimmten Anzahl von Einwohnern. Bei keinen oder wenigen Infektionen in der untersten Stufe gibt es nur leichte oder vielleicht sogar gar keine Regeln. In der höchsten Stufe gelten rigide Maßnahmen. Sollen Chöre auch einer solchen Ampel folgen?
Verschiedene Chorverbände haben eine solche Anbindung an ein Ampelsystem auch vorgeschlagen oder sogar eingeführt. So entwickelte etwa der Chorverband Österreich analog zum allgemeinen Österreichischen Corona-Ampelsystem (grün: geringes Risiko; gelb: mittleres Risiko; orange: hohes Risiko; rot: sehr hohes Risiko) ein Konzept, das eine flexible Reaktion auf die epidemiologische Situation vorschlägt. Bei grün gelten die allgemeinen Empfehlungen des Österreichischen Chorverbandes, bei gelb und organge werden Maßnahmen verschärft: Forderung nach Tragen eines Mundnasenschutzes (gelb: bis zum Platz, orange: immer), eine zunehmende Verkürzung der Singzeiten, eine Vergrösserung des Sicherheitsabstandes von 1,5 auf 2 m (orange) und eine Verkleinerung des Singgruppen (orange).
Wenn sicher gestellt ist, dass niemand mehr infiziert ist, ist auch kein Schutz mehr nötig. Neuseeland etwa ist es gelungen, Covid-19 wenigstens für einen längeren Zeitraum von der Insel zu verbannen. Chöre konnten wieder normal singen. Neuseeland hatte schon länger eine Ampel. Als Corona dann wieder in Auckland ausbrach, ging die Region erneut in die höchste Sicherheitsphase und Chorsingen war wieder so lange verboten, bis die Gefahr gebannt und Neuseeland erneut coronafrei war. Was in einer Inselsituation wie Neuseeland möglich ist, die den Personenverkehr ins eigene Land genau kontrollieren kann, ist bei uns jedoch schlicht nicht möglich, ohne dass Regierungen diktatorisch durchgreifen würden, wie die chinesische Regierung zu Beginn der Pandemie getan hat. Das ist wohl in niemandes Interesse.
Ist ein Ampelsystem für Chöre sinnvoll? Sicher ist eine besonders erhöhte Vorsicht geraten, wenn die Fallzahlen ohnehin hoch sind. Man sollte sich jedoch klar machen, dass chorische, aber auch nichtchorische religiöse und weltliche Singgruppen immer wieder maßgeblich dazu beigetragen haben, Superspreading-Ereignisse zu generieren, die die Fallzahlen in ganzen Regionen von jetzt auf gleich so hochgetrieben haben, dass gegebenenfalls mehrere Stufen eines potenziellen Ampelsystems übersprungen worden wären. Man denke an das Freikirchentreffen im Elsass, an den Operettenchor des Teatro Zarzuela in Madrid, an die Baptistengemeinde in Frankfurt im Mai 2020, an das Jodelmusical in Schwyz, die Choraktivitäten auf der holländischen Insel Coracao und weitere. Nähere Informationen hierzu unter dem Menüpunkt Betroffene Singgruppen.
Die Frage ist letztlich: Ist die Anbindung an ein Ampelsystem im Stande, vergleichbare Katastrophen zu verhindern oder zumindest stark unwahrscheinlich zu machen. Die Idee, einer chorischen Anbindung an ein Ampelsystem ist zumeist an grösstmöglicher Ermöglichung und Erleichterung von Singen interessiert: Wir versuchen so viel wie möglich zu singen, wenn es uns die Situation erlaubt. Das Interesse ist nur zu gut nachvollziehbar. Es fragt sich jedoch, ob wir in den Chören nicht vorerst noch einen Schritt zurücktreten sollten, bis die Gefahr von plötzlich eintretenden Superspreading-Ereignissen gebannt ist. Es fragt sich, ob wir nicht prophylaktisch eine Spur vorsichtiger agieren sollten, als uns der Stand des Infektionsgeschehens ein lascheres Vorgehen suggerieren könnte. Meines Erachtens sollte vorerst eine besondere Vorsicht in eine besonne Chorplanung einfließen. Vor allem Intensivproben- und Konzertphasen (so denn überhaupt erlaubt) bergen ein erheblich höheres Risiko als eine einfache Chorprobe (s. u.). Letztlich ist das aber die Entscheidung der Chorverantwortlichen und der Regierungen. Die Frage dabei ist allerdings, ob alle Sänger*innen gegebenenfalls über das Risiko verminderter Sicherheitsstandards aufgeklärt sind. Die vorliegende Webseite könnte Entscheidungshilfe bieten.
Die Frage nach dem Ausmaß von chorischen Schutzregeln abhängig von der epidemiologischen Situation wird uns wohl sicher und leider noch eine ganze Weile beschäftigen und auch abhängig sein vom Fortgang der Pandemie. Der Beginn der ersten, hoffentlich wirkungsvollen (und hoffentlich möglichst folgeschädenfreier) Impfungen wird wohl nicht das Ende der Pandemie auf einen Schlag bedeuten. Wir wissen bislang nicht, wie lange eine Impfung schützen wird. Forscher gehen aktuell (Ende 2020) mehrheitlich davon aus, dass aufgrund der Wandlungsfähigkeit des Virus, Impfungen immer wieder erneuert werden müssen. Das Intervall zwischen solchen Impfungen ist noch unbekannt (alle paar Monate, jedes Jahr, alle paar Jahre?). Von solchen Faktoren hängt ab, ob und wann es zu einer Herdenimmunität kommt, die die Krankheit mehr oder minder effektiv zurückdrängen kann. Möglicherweise schwächt sich das Virus aber auch dauerhaft ab und wird für den Menschen (in hoffentlich absehbarer Zeit) ungefährlich. Manch ein einfacher Erkältungsvirus, der uns heute gelegentlich nur leicht zu schaffen macht, ist wohl ein zahnlos gewordenes Relikt einer vergangenen Pandemie. So ist in einem Artikel der Zeit über die Pandemie der so genannten “Russischen Grippe”, eine Lungenkrankheit die zwischen 1889 und 1895 weltweit 1 Mio. Todesopfer forderte, zu lesen:
“Die damalige Pandemie dürfte die erste Corona-Seuche der Neuzeit gewesen sein. Heute ist ihr Auslöser – er heißt HCoV-OC43 – nur noch ein harmloses Schnupfenvirus, einer der üblichen winterlichen Plagegeister. Doch wir hatten auch hundert Jahre Zeit, uns an ihn zu gewöhnen. So viel Zeit sollte man Sars-CoV-2 nicht lassen.“
Vielleicht wird Corona aber unsere vorpandemischen Standards im Chorwesen auch für immer oder zumindest für eine längere Zeit verändern müssen, und wir müssen uns vielleicht dauerhaft einige neue Verhaltensweisen auch im Chorwesen zu eigen machen.

Ein Vorgehen bei der Etablierung von Sicherheitsmaßnahmen könnte auch das Anpassen an ein Ampelsystem sein – zumeist staatlich etabliert – , bei dem je nach Ansteckungssituation in der Bevölkerung unterschiedlich strenge Maßnahmen eingeschlagen werden. In einzelnen Ländern ist dies geschehen. Bedenken gibt es hierbei jedoch, ob es nicht im Zweifelsfall sinnvoller ist, im Singbereich fixe Schutzmaßnahmen zu etablieren, die so gut wie möglich immer Superspreaderereignisse verhindern würden – zumal es genügend Beispiele dafür gibt, dass eine solche Ampel durch solche singulären Ereignisse in Singgruppen von grün auf rot gesprungen wäre.
III. Diskussion konkreter Maßnahmen (im Aufbau)
A) Maßnahmen zur unmittelbaren Verhinderung einer Ansteckungen bei den Übertragungswegen
1) Maßnahmen zur Vermeidung von Kontaktübertragungen: Hygienemaßnahmen und Kontaktvermeidung
Regeln zur Vermeidung von geschätzten 10 % (< 1 bis 15 %) von Ansteckungen insgesamt – Maßhalten in Hygienekonzepten statt Hygienetheater ist angesagt!

Die Gesamtheit aller Hygienemaßnahmen zur Vermeidung von Kontaktübertragungen verhindert nach begründeter Meinung vieler Fachleute wohl höchstens 10 % (zwischen unter 1 und 15 %) aller Infektionen. Da speziell in Singgruppen aber primär die Aerosol- und allenfalls auch die Tröpfcheninfektion problematisch sind und dabei nur die Aerosolübertragung zu spontanen Superspreaderevents führt, dürften Kontaktübertragungen im Chor prozentual noch niedriger anzusetzen sein, als es die genannte Einschätzung für alle Situationen zusammengenommen nahe legt. Das SARS-CoV-2-Virus ist ein Virus, das sich hauptsächlich über gemeinsam geatmete Luft und wenn überhaupt, dann kaum über gemeinsame benutzte Oberflächen verbreitet. Ich möchte nicht dazu aufrufen, die Hygienemaßnahmen auszusetzen, sondern diskutiere ihren unterschiedlichen Wert hier und rate dazu, sie vorsichtshalber auch zu beachten, aber in eine dem Erkenntnisstand angepasstere Relation zu bringen. Denn Hygienekonzepte sollten Erkenntnissen zur Zweitrangigkeit von Kontaktübertragungen Rechnung tragen – zumal beim Singen, wo besonders viele lungengängige Aerosole produziert werden, die viel schwerer infizieren können als ein aufgeschnappter oder auf die Schleimhäute geschmierter Spucketropfen – und nicht durch Menge und Umfang dementsprechender Maßnahmen bzw. auch von Umfang von deren Beschreibungen ausarten. Denn dies lädt dazu ein, die eigentlich viel relevanteren Punkte (vor allem Einhaltung von geeigneten Abständen, Sorgen für gute Luft, Filtern von Luft), die wirklich effektiv Ansteckungen vermeiden helfen, zu vernachlässigen oder allenfalls nur unter ferner liefen zu behandeln. Hygienetheater, das vorgaukelt, es würde Wesentliches zur Ausbreitungsverhinderung des Virus getan, während genau das nicht passiert, sollte vermieden werden. Man halt sich also in Hygienekonzepten zum Thema Kontaktübertragungen in Relation zu den wesentlicheren Vermeidungsstrategien kürzer und fasse am Besten entsprechende Punkte zusammen.
1. Zusammenfassung zu wissenschaftlichen Erkenntnissen hinsichtlich der sekundären Rolle von Kontaktübertragungen (ausführlich unter Punkt 4. im Menüpunkt Vergleich Ansteckungswege beschrieben) zum besseren Verständnis des nachfolgenden Unterpunkts 2. (Text vorhanden)
Eigentlich hatte ich ursprünglich an dieser Stelle anhand wissenschaftlicher Studien und Einschätzungen von Fachleuten ausführlich begründet, welche Evidenzen dafür sprechen, dass Ansteckungen über Kontaktübertragungen bei SARS-CoV-2-Viren nur eine marginale Rolle spielen. Die anfänglich hier hinter einer Akkordeonakkulade verborgene ausführliche Begründung wäre hier jedoch zu versteckt. Sie ist zu wichtig, sodass ich sie nun unter Punkt 4. in den Menüpunkt Vergleich Ansteckungswege verschoben habe, wo sie thematisch auch hingehört. Für die hiesigen Überlegungen zum Wert und Stellenwert der Hygieneschutzmaßnahmen sind die dortigen Erkenntnisse jedoch essentiell wichtig. Daher hier nur eine kurze Zusammefassung:
Zusammenfassende Begründung (ausführlich unter Vergleich Ansteckungswege): Es entspricht mittlerweile einem breiten wissenschaftlichen Konsens, dass die Kontaktübertragung bei dem SARS-CoV-2-Virus der Tröpfchen- und Aerosolübertragung weit nachgeordnet ist. Ja, von Anfang an sind die entsprechenden Maßnahmen zur Vermeidung von Kontaktübertragungen nur vorsichtshalber etabliert worden, da man wusste, dass sich Atemwegsinfekte überwiegend über Tröpfchen – wie man mittlerweile weiß: hauptsächlich durch Aerosole – übertragen. Den Gesundheitsbehörden (WHO, CDC, RKI usw.) ist bekannt, dass bis heute keine einzige Übertragung über Kontakte/Oberflächen gesichert nachgewiesen ist. Ihre Rolle im allgemeinen Infektionsgeschehen wird als gering eingeschätzt. Es wird aber angenommen, dass eine gewisse Plausibiltät für eine Kontaktübertragung besteht, und so werden Maßnahmen zur Verhinderung davon empfohlen. Im Bewusstsein vieler Hygienekonzeptautoren sind die Vermeidungsmaßnahmen zur Konaktübertragung jedoch schnell zur Hauptsache geronnen, eine Stellung, die ihnen definitiv nicht zukommen sollte.
Intensive Handhygiene konnte zwei Metastudien folgend bei Atemwegserkrankungen nur zu 16 % bzw. 21 % der Infektionen reduzieren, wobei die Mehrzahl der zugrundeliegenden Untersuchungen an KiTas und Elementarschulen durchgeführt wurde, und bei Kindern ein viel größerer Effekt zu erwarten ist als bei Erwachsenen (was im Einzelfall auch gezeigt wurde).
Coronaviren sind hierbei aber zudem so etwas wie stark “benachteiligte” Viren. Denn mit ihrem Fettmantel und vor allem ihrer Stachelstruktur sind sie sehr viel instabiler und anfälliger als viele Viren, die sich über Kontaktübertragungen verbreiten, namentlich etwa Novoviren. Auch die mantel- und stachellosen Rhinoviren werden hier als Kontrast zu den viel anfälligeren SARS-CoV-2-Viren genannt. Aber im Versuch wurde sogar gezeigt, dass sich offenbar selbst die sehr viel stabileren Rhinoviren leichter über Tröpfchen und Aerosole übertragen als über Kontaktübertragungen. Um wieviel weniger ist dies dann von SARS-CoV-2-Viren anzunehmen.
Wo eine lange Überlebensdauer der Viren von Tagen und Wochen nachgewiesen wurde, geschah dies unter Laborbedingungen mit unrealistisch hohen Virenkonzentrationen und unter alltagsfernen Feuchtigkeitsbedingungen. In kleinen Mengen und im ausgetrockneten Zustand werden die SARS-CoV-2-Viren jedoch binnen kürzester Zeit deaktiviert. Es wird darauf hingewiesen, dass bei anderen Atemwegsinfekten wie der Grippe Millionen von Viren benötigt werden, um sich über Oberflächen zu infizieren, jedoch nur 1000 Viren, um sich über die Luft zu infizieren. Bei allen stichhaltigen Indizien für die Luftübertragung von SARS-CoV-2-Viren ist Vergleichbares im Fall von Covid-19 auch anzunehmen.
Schwerere Erkrankungen sind vor allem dann zu befürchten, wenn Viren die Chance bekommen, an vielen Stellen gleichzeitig zu infizieren, wie dies durch eine Aerosolübertragung, die Viren direkt zu den Lungenbläschen bringen kann, ungleich leichter gelingt, als wenn man mit dem Virus nur an einer Stelle mit den Schleimhäuten in Kontakt kommt. Die Schleimhäute, mit denen das Virus bei der Kontaktübertragung in Berührung kommen kann, verfügen jedoch über ein eigenes Immunabwehrsystem, die Lungenbläschen tief in der Lunge, die nur von Aerosolen erreicht werden können, jedoch nicht.
Bei der Kontaktübertragung ist auch zu berücksichtigen, wie wahrscheinlich es ist, dass eine große Menge von Viren übertragen werden kann, wenn man bedenkt, von wie vielen Zwischenstationen und Kontakten man in einer Ansteckungskette ausgehen muss. Natürlich ist das Ansteckungsrisiko hier bei der direkten Weitergabe von Speichel, namentlich beim Küssen, gewissermaßen einer Kontaktübertragung 1. Ordnung, am größten (vgl. nachfolgeden Graphik). Dieser Vorgang entspräche auch der Tröpfcheninfektion, bei der der Infizierte Tröpfchen so spuckt, dass sie die Schleimhäute eines anderen treffen. Es leuchtet auch ein, dass es keine gute Idee, Besteck- und Trinkgefäße gemeinsam zu benutzen – eine Kontaktübertragung 2. Ordnung. Hier gibt es aber bereits eine Zwischenstation mehr. Beim Händeschütteln haben wir es dann bereits mit einer Kontaktübertragung 3. Ordnung zu tun, d. h. es benötigt drei Kontakte für eine Infektion: das Aufbringen von Viren auf die Hand des Senders, das Abschmieren der Viren auf die Hand des Empfänger und das Reiben der Viren auf die eigenen Schleimhäute durch den Empfänger. Für die meisten Alltagsituaion tritt aber noch eine zusätzliche Zwischenstation hinzu: ein Türknauf, die Tasten eines Klaviers, die Noten, die Stühle, auf denen die Chorsänger sitzen, die Stifte, die sie benutzen. Man bedenke, dass jede Zwischenstation, bei der Viren zuerst abgeschmiert und wieder aufgenommen werden, die Viruslast drastisch senkt. Wenn man nun bedenkt, dass die SARS-CoV-2-Virusmenge wohl sehr gross sein muss, um überhaupt mehr als einige Minuten überleben und auch um infizieren zu können, mit jeder nötigen Zwischenstation, von der nur ein kleinerer Teil der Viren weitergetragen wird, so verliert dieser Ansteckungsweg mit jeder zusätzlichen Ordnung erheblich von seiner Wirkungskraft.

2. Einzelaspekte – Überlegungen zu konkreten Vermeidungsstrategien von Kontaktübertragungen (Text vorhanden – im Aufbau)
Auf der Grundlage der vorangegangenen bzw. der unter 4. im Menüpunkt Vergleich Ansteckungswege angestellten Überlegungen, kann man die Aspekte und Situationen durchspielen und einordnen, die in viele Hygienekonzepten auch für Chöre thematisiert werden. Man muss sich dabei aber immer vor Augen halten, dass die Summe der folgenden Maßnahmen vermutlich weniger als 10 % der Ansteckungen in Singgruppen vermeiden hilft, sodass es sinnvoll ist, wenn die Maßnahmen in notierten Hygienekonzepten nicht allzu sehr entfaltet und nicht in allzuviele Punkte aufgespalten, um nicht die Aufmerksamkeit von den wichtigeren Punkten abzulenken, sondern besser zusammengefasst werden sollten. Der Leser möge prüfen, ob die die folgenden Gedanken schlüssig sind und diese lediglich als Input für eigene Überlegungen begreifen. Um nicht die vorhergehende Akkordeonzeile öffen zu müssen, bilde ich für die nachfolgenden Überlegungen nochmals die Graphik zu den Kontaktübertragungen unterschiedlicher Ordnungen ab.

I. Maßnahmen zur Kontaktvermeidung
1. Allgemeine Vorsicht bei Essen und Trinken – besondere Vorsicht vor gemeinsamer Benutzung von Ess- und Trinkutensilien!
Bei der Auswertung des Ansteckungsereignisses im Skagit Valley Chorale wurden mitunter – zumindest anteilig – die Pausensnacks verdächtigt, zu dem Massenausbruch im Chor beigetragen zu haben. Hierzu gibt es heute jedoch weitgehend Entwarnung von Fachleuten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung schreibt über Lebensmittel:
“Es gibt derzeit keine Fälle, bei denen nachgewiesen ist, dass sich Menschen über den Verzehr kontaminierter Lebensmittel mit dem neuartigen Coronavirus infiziert haben.
Eine Infektion über den Magen ist nach Einschätzung von Fachleuten nicht möglich. Jedoch könnten Infektionen theoretisch im Mund ausgelöst werden, je nachdem wie viel infizierter Speichel hier nach der Konsumation infizierter Lebensmittel oder der Berührung kontaminierte Ess- oder Trinkutensilien mit dem Mund eventuell im Mund zurückgeblieben ist. Hierbei müssten aber nach neuerem Wissen wohl sichtbare Mengen an Speichel auf ein Lebensmittel gelangt sein. Snacks, die irgendwo herumliegen, müssten erst einmal von jemand anderem behustet, bespuckt, beniest worden sein, um überhaupt ansteckungsrelevant zu werden.
Viele Hygienekonzepte für Chor haben aber zu Recht darauf hingewiesen, Ess- und Trinkutensilien nicht gemeinsam zu benutzen. Auch wenn das eine Selbstverständlichkeit sein sollte, so muss doch gesagt werden, dass es sich hierbei im Sinne der obigen Graphik um die einzige Kontaktübertragung 2. Ordnung handelt und hier im Falle eines Falles das Ansteckungsrisiko tatsächlich über eine Kontaktübertragung am höchsten ist. In keiner anderen Situation wäre es im Chor (und natürlich auch in anderen Gruppen) leichter, andere via Kontaktübertragung zu infizieren als über möglicherweise nur versehentlich gemeinsam benutzte Löffeln, Gabeln, Weingläser, Bierflaschen usw. oder was auch immer während oder nach Chorproben in Gebrauch ist. Als ehemaliger Chorleiter in einem Weinort weiss ich, wovon ich rede: Am Eingang des Probenortes standen Weinflaschen und lauter formgleiche Gläser, von denen sich jede eines nehmen, mit Wein füllen und neben seinen Stuhl stellen konnte, um es während der Probe zu konsumieren. Gerade bei solchen lieb gewordenen Gewohnheiten sind versehentlich Verwechselungen natürlich möglich und könnten im Fall einer infizierten Person im Chor für Infektionen verantwortlich sein. Auch das Weiterreichen eines schon zum Teil gegessenen Apfels ist sicher keine gute Idee.
Da also in diesem Bereich noch ein reales Ansteckungsrisiko bzw. im Zweifelsfall das größte Ansteckungsrisiko für Kontaktübertragungen in Gruppen überhaupt vorliegt, sollten Hygienekonzeptersteller diesen Punkt wohl in jedem Fall berücksichtigen, zur besonderen Vorsicht bei der Verwendung von Trink- und Essutensilien aufrufen oder sich Gedanken darüber machen, ob Essen und Trinken nicht vielleicht wenigstens vorübergehend ganz aus den Chorräumlichkeiten verbannt werden kann, bis die Situation es wieder gefahrloser zulässt.
2. Vermeiden von Körperkontakt bei Begrüßung und Verabschiedung
Die Aufforderung, sich bei Begrüssungen nicht mehr die Hände zu schütteln, gehört seit Beginn der Pandemie zum Standardrepertoire von Hygienekonzepten. Im Sinne der obigen Graphik würde dadurch im Ernstfall eine Kontaktübertragung dritter Ordnung verhindert. Hierbei ist noch denkbar, dass ansteckungsrelevante Mengen an Viren weitergereicht werden könnten, wenn kurz vor der Begrüßung ein Infizierter in seiner Hände gehustet oder geniest hat und die ausgeschiedenen Substanzen an die Hand des Begrüßten oder Verabschiedeten schmiert. Selbst wenn man annähme, dass Corona schlecht über Hände weitergegeben werden kann, würde die Maßnahme aktuell wohl nutzbringend sein. Denn sie könnte auch das Risiko stark mindern, dass andere Viren und Keime über die Hände übertragen würden, die, wenn sie denn für Infektionen sorgen, uns schwächen und anfälliger für eine Coronainfektion machen könnten.
Um Grade schwieriger dürfte eine Übertragung über den Ersatzbrauch sein, sich mit der Faust zu begrüßen, wovor das Schweizer BAG allerdings gleichwohl abrät. Eine nur Sekunden währende kurze Umarmung oder ein seitwärtiges Begrüssungküsschen dürften zwar vom Standpunkt der Kontaktübertragung weit weniger problematisch sein als das Händeschütteln, und auch für eine Aerosolinfektion wäre die Zeit, die man sich dabei nahe kommt, vermutlich einfach zu kurz. Eine Gefährdung könnte hier allerdings noch durch die Tröpfcheninfektion entstehen. Alles in allem wäre es für Hygienekonzeptersteller in Chören wohl besser, pauschal zum Verzicht von Begrüßungsritualen aufzurufen, die mit Berührungen verbunden sind, besonders aber das problematische Händeschütteln zu unterbinden. Vor allem letztere Maßnahme – und gegebenenfalls überhaupt darauf hinzuweisen – könnte in den unterschiedlichen Ländern einen unterschiedlichen Effekt bewirken, insofern es etwa in der Schweiz gang und gäbe ist, sich in Gruppen per Handschlag zu begrüßen und zu verabschieden – in einem Ausmaß, wie man das in Deutschland eher nicht kennt.
3. Bestuhlung, Entstuhlung, Einrichten des Probenraums
Nicht nur die oben erwähnten Snacks, auch die Be- und Entstuhlung stand anfänglich wohl im falschen Verdacht, im Skagit Valley Chorale via Kontaktübertragungen ein Superspreadingevent herbeigeführt zu haben. Autoren von Hygienekonzepten in Chören haben besondere Gruppen für die Be- und Entstuhlung beordert, eventuell sogar dazu aufgerufen, Schutzmasken und Handschuhe dabei zu tragen. Anderen Autoren war die Bestuhlung dagegen überhaupt keine Erwähnung wert. In jedem Fall würden wir hier im Ernstfall über eine Kontaktübertragung 4. Ordnung reden. D. h. 3 Zwischenstufen wären für eine Übertragung via die Bestuhlung nötig. Man kann sich überlegen: Die Menge möglicherweise berührter kontaminierter Oberflächen nimmt zwar zu, da die Bestuhler aber viele Stühle nacheinander berühren, wäre die Wahrscheinlichkeit wohl höher, dass eine allenfalls ansteckungsrelevante Menge von Viren, die irgendwo hingeschmiert war, so oft weiter verschmiert würde, dass die Restmenge nicht oder kaum noch ansteckend ist (Geringe Mengen von Viren werden in kürzester Zeit auf Oberflächen deaktiviert). Wird die Maßnahme erwähnt, was keinen großen Aufwand nach sich zieht, so sollten die Raumeinrichter vorsichtshalber vor und nach der Be- und Entstuhlung die Hände waschen oder desinfizieren. Wenn sie sich selbst sicherer fühlen, können sie das auch mit Handschuhen tun.
4. Einschätzung eventuell gemeinsam berührter Oberflächen: Türgriffe, Wasserhähne – Noten, Stifte, Probeninstrumente
Auch wenn es bislang in der Forschung nicht gelungen ist, Viren aus kontaminierten Oberflächen anzuzüchten und es fraglich bleibt, ob von im Alltag berührten Oberflächen überhaupt ein Risiko ausgeht, so bleibt es wohl vorbeugend gut, eine gewisse Vorsicht walten zu lassen und in Hygienekonzepten hier kurz zusammenfassende Sicherheitsmaßnahmen zu erwähnen. Das sollte aber in Maßen geschehen und nicht überspielen, dass das Sorgen für saubere Luft im Raum und die Vermeidung allzu großer Nähe, sowie gegebenenfalls das Maskentragen ungleich wichtigere Maßnahmen sind.
"Da muss also jemand auf eine Fläche husten, und man fasst dann dort hin, kontaminiert sich ja wahrscheinlich nur die Fingerspitzen, und auch nur ein Teil der Viren wird an diesen haften bleiben. Und dann muss man noch schauen, wie man jetzt die Viren in Mund und Nase kriegt. Das wird ja eher selten der Fall sein, und am Ende werden es dann doch zu wenige Viren sein."
Walter Popp, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene
Wenn also von Kontakten irgendwo überhaupt ein Risiko ausgeht, wären das am ehesten von häufig berührten Oberflächen:
- Türgriffe, Fenstergriffe, Aufzugknöpfe, Wasserhähne, öffentliche Stifte: Das sind gegebenenfalls die am häufigsten gemeinsam berührte Oberflächen, die in einer Singgruppensituation vorkommen. Hier würde es sich also allenfalls noch am ehesten lohnen, hinsichtlich Oberflächen Vorsicht walten zu lassen. Tür- und Fenstergriffe, Aufzugknöpfe und Wasserhähne könnten von jemandem gesondert desinfiziert werden. Manche Hygienekonzeptautoren raten auch dazu, Türen und Fenster einfach offen stehen zu lassen, damit die Griffe nicht berührt werden müssen. Bei vielen Chören ist es üblich, dass sich Sänger*innen bei Betreten des Raums in einer Anwesensheitliste eintragen, bei der ein Stift ausliegt: Wenn jeder sein eigenes Schreibmaterial mitbringen soll, wäre der ausliegende Stift nicht nötig, und wenn jemand gegen diese Gewohnheit auch noch die schriftliche Anwesenheitskontrolle ganz übernimmt, wäre auch der Kontakt mit Papier vermieden.
- Noten und Schreibmaterial: In anfänglichen Hygienekonzepten wurde mitunter empfohlen, Noten per Post zu verschicken, die dann nach Tagen von den Empfängern gesichert geöffnet werden konnten, wenn man annahm, dass alle potenzielle Viren inaktiviert sind. Nach heutigem Kenntnisstand besteht dazu keine Notwendigkeit. In anderen Hygienekonzepten wurde vorgeschlagen, dass sich die Verteiler von Noten vorher die Hände waschen oder desinfizieren – ein wohl vollkommen ausreichende Empfehlung. Andere Hygienekonzeptautoren riefen zur Benutzung von selbst ausgedruckten PDF-Noten auf (hier wäre die Rechtslage zu beachten) – in jedem Fall der sicherste Weg. Auch die Benutzung von Tablets ist eine denkbare Variante. Auf der sicherern Seite wäre man auch, wenn Noten auch während der Chorprobe spontan nicht ausgetauscht würden, obwohl ein davon ausgehendes Übertragungsrisiko wirklich sehr gering sein dürfte: Selbst wenn jemand auf die Noten geniest hätte, müsste jemand anderes vermutlich genau die kontaminierte Stelle berühren, die aufgenommenen Substanzen dann nicht weiter verschmieren, sondern sich unvermittelt an seine Schleimhäute reiben.
- Probeninstrumente: Ob Flügel, E-Piano, Cembalo, Orgel, Gitarre – oder welches Instrument auch immer als Hilfsmittel genutzt wird – würde den darauf Spielenden die größte Sicherheit geboten, wenn von vorn herein klar ist, dass nur Chorleiter*in und Korrepetitor*in oder sonstige Begleiter das jeweilige Instrument benutzen dürfen. Auch hier ist die Gefahr eine Kontaktübertragung aber wohl sehr gering: Denn selbst wenn virales Material durch Husten, Niesen, Spucken auf der Tastatur oder den Saiten kleben würde, würde es wohl gleich beim ersten Spielen so schnell in Portionen aufgeteilt bzw. verrieben werden, die weit weniger oder nicht mehr Infektiös sind bzw. die verbleibenden wenigen Viren schnell deaktiviert werden.
- Jedem sein eigener Stuhl?: Einzelne Hygienekonzepte haben eine fixe Sitzordnung gefordert: Stühle sollten nach Möglichkeit nicht getauscht werden, um nicht Viren von einem Chorsänger auf den nächsten zu übertragen. Die Gefahr davon ist wohl ebenfalls sehr gering. Wenn der Stuhl nicht gerade eine Lehne hat, werden die Anwesenden außer beim Verrücken kaum je mit allenfalls kontaminierten Händen den Stuhl überhaupt berühren. Klar ist zumindest, dass dort wo jemand einfach nur aufsaß oder sich hinten anlehnt, so gut wie keine Chance besteht, kontaminiertes Material auftutragen, dass dem nächsten zur Gefährdung reicht. Man kann allenfalls überlegen, ob nicht die Aufforderung zu einem fixen Sitzplatz unnötige Mobilität im Raum vermeidet.
II. Reinigungen: Vorbeugende Hygienemaßnahmen betreffs Kontaktübertragungen
Vorweg: Viren vermehren sich nicht außerhalb des Körpers. Einmal gewaschene Hände müssen daher ohne zwischenzeitliche neue Berührung verdächtiger Gegenstände nicht mehr gewaschen, einmal gereinigte Oberflächen ohne Benutzung und außerhalb von Spuckweite nicht nochmals prophylaktisch gereinigt werden.
Hände waschen, Hände desinfizieren
Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass bei dieser Pandemie das Händewaschen und Desinfizieren der Hände übertrieben wurde und nachhaltig von dem abgelenkt hat, worauf Virologen und Aerosolwissenschaftler schon länger hinweisen, nämlich dass sich Corona hauptsächlich über Aerosole verbreitet. Aber auch wenn es dies im Nahbereich schnell tun kann und im gesamten Raum bei längerer Exposition tut, so behält eine regelmäßige Händewaschen dennoch noch seine Berechtigung: Sollten sich doch einmal Speichel von einer hochinfektiösen Person mit einer sehr großen Viruslast im Körper an unseren Fingern befinden, sorgen wir durch die wiederkehrende Handhygiene hoffentlich rechtzeitig vor, den Speichel nicht auf unsere Schleimhäute zu reiben. Aber es ist ja nicht nur Corona, vor dem wir uns durch Händewaschen schützen. Viele andere Keime übertragen sich sehr viel besser über Kontakte, als Corona dies tut. Und wenn wir von anderen Krankheiten heimgesucht werden, sind wir auch geschwächt und empfänglicher für eine Corona-Infektion. In diesem Sinne äußert sich Prof. Sandra Ciesek:
“Trotzdem, wie gesagt, das sage ich aber immer, gerade auch bei Influenza und allen anderen Viren, Händewaschen mit Seife, wenn Sie draußen waren, wenn Sie in der UBahn gefahren sind, wenn Sie Einkaufen waren. Das ist immer das erste, was ich mache, wenn ich nach Hause komme, ich wasche mir die Hände mit Seife. Das ist immer eine gute Idee, auch für alle anderen Viren oder Bakterien.”
Prof. Sandra Ciesek, Virologin
Wir haben uns daran gewohnt, überall die Hände gleich zu desinfizieren. Aber hier werden mitunter Bedenken geäußert: So hat der große Einsatz von Desinfektionsmitteln in Krankenhäusern krankenhausresistente Keime hervorgebracht. Seife ist sogar besser als Desinfektionsmittel:
“…die gute alte Seife hat eigentlich einen sehr ähnlichen Effekt und ist auch sehr effektiv und hilft sogar gegen andere Erreger, wo das Standarddesinfektionsmittel nicht wirkt, also bei sporenbildenden Bakterien zum Beispiel.”
Prof. Sandra Ciesek, Virologin
Reinigung sehr konkreter Oberflächen:
Viele Schutzkonzepte, auch solche für Chöre, haben nach Benutzung eines Raums durch eine Gruppe eine flächendeckende Reinigung oder womöglich sogar eine Desinfizierung gefordert. Dabei ist es erstens wie oben und hier erklärt sehr unwahrscheinlich, dass über die einfache Berührung von beliebigen Raumgegenständen Corona übertragen wird. Wenn etwas noch Sinn hat, dann die Reinigung der wenigen viel berührten Oberflächen wie Türgriffe, Aufzugsknöpfe, Wasserhähne mit einem Reinigungsmittel, dass den Fettmantel des Virus zerstört. Die flächendeckende Reinigung von Oberflächen nach einer Raumbenutzung zur Vermeidung von Coronaansteckungen dagegen ist nicht nur überflüssig und lenkt als Hygienetheater von den wirklich effektiven Maßnahmen ab, sondern ist auch gesundheitsschädlich, da viele Desinfektionsmittel Gifte enthalten, die nun öfters eingeatmet werden und längerfristig Schädigungen auslösen können.
„Wenn man einen Bereich zugunsten eines anderen unterbetonen will, dann wäre das wirklich der Desinfektionsmittelbereich im Alltag.“
Prof. Christian Drosten
2) Maßnahmen zur Vermeidung von Tröpfchen- und Aerosolübertragungen: Gute Luft sowohl in der Nähe als auch im Raum und außer Reichweite von Tröpfchen
1. Gute Luft in der Nähe und kein Tröpfchenflug: Günstige Abstände im Chor

Social Distancing ist eine allgemein als wirksam erkannte Maßnahme zur Ansteckungsvermeidung und bei der oft statischen Aufstellung im Chor im Hinblick auf Tröpfchenflug und Drift der beim Singen reichlich produzierten Aerosole auch besonders wichtig. Die speziellen Mechanismen beim Singen und die daraus folgenden Aufstellungsüberlegungen werden hier anhand von Forschungsergebnissen diskutiert. Masken, Visiere und Plexiglaskonstruktionen können zwar Tröpfchenflug und Aerosoldrift aufhalten, erlauben aber nicht eine beliebig gedrängte Aufstellung, sondern machen neue Überlegungen erforderlich.
Welche Abstände sind die sicher für die Sänger*innen? (Antwort + ausführlicher Erläuterungstext)
Da, wo keine besondere Reflektion stattgefunden hat und die Forschungslage zum Singen nicht bekannt ist, gibt man sich möglicherweise mit einer Empfehlung von 1 m Sicherheitsabstand beim Singen analog zur allgemeinen Abstandsempfehlunge der WHO zufrieden. Aufs Singen abgestimmte Empfehlungen raten zu kreisrundem Abstand von 1,5 m oder von 2 m; zu 1 m zur Seite und 2 m nach vorne; oder zu 1,5 zur Seite und 2,5 bis 3 m nach vorne usw. Oft ist es ein Austarieren zwischen Sicherheit und Praktikabilität. Aber was ist sicher? Tragen die Sänger*innen keine Maske, so ist dem Abstand zwischen den Reihen die größte Aufmerksamkeit zu schenken. Untersuchungen sowie Berechnungen zeigen, dass zwar Tröpfchen durch die Artikulation im Zweifelsfall nicht weiter als 1,5 m geschleudert werden, Aerosole, die ein größeres Potenzial zu infizieren haben, aber in direkter Ebene strahlförmig durchaus weiter getragen werden: Mit einigen Sekunden bis zu einer halben Minute Verzögerung trifft je nach Luftfeuchtigkeit bis zu 6 % der ursprünglich erzeugten Aerosolmenge 2 m in direkter Ebene vor dem Mund ein. Ein Sicherheitsabstand von 2,5 m ist also geraten. Da Aerosole nach ihrem anfänglichen Drift durch die Artikulation bei gängigen Raumtemperaturen aufgrund der Thermik aufzusteigen beginnen, kann ein noch größerer Abstand sicherheitstechnisch sinnvoll sein, wenn die hintere Reihe (etwa Sitzende) ein räumlich tieferes Niveau einnimmt als die Reihe vor ihr. Da Aerosole sich kaum weit unmittelbar zur Seite ausbreiten (es sei denn durch zusätzliche Luftströmungen!) kann ohne kontinuierlichen Luftzug zur Seite hin ein Abstand von 1,5 m zur Seite und vermutlich auch von 1 m ausreichen. Wenn Platz gespart werden soll, dann eher auf Kosten zur Seite, als nach vorne!
Inhalt:
- Wirksamkeit des Abstandhaltens
- Unterschiedliche Abstände beim Singen und beim Sprechen
- Luftbewegung bei Vokalisation gering
- Konsonanten bringen die Luft viel mehr in Wallung und die Tröpfchen fliegen weiter
- Die unmittelbare Ausbreitung der Aerosole und ihr Drift
- Abstand nach vorne erheblich wichtiger als der zur Seite
- Schwierigkeiten praktischer Anwendung – Social Distancing unnormal, Konzessionen oder Konsequenz gefragt?
- Masken, Visieren und Plexiglas zur Optimierung der Abstände?
1. Wirksamkeit des Abstandhaltens
Ein größerer Teil dieser gesamten Webseite ist dem Aspekt gewidmet, zu erklären, warum wir über die anfänglich propagierten antipandemischen Maßnahmen Abstandhalten und Hand- und Oberflächenhygiene hinaus der pauschalen Ansteckungsmöglichkeit über kontaminierte Luft mindestens einmal beim Singen viel mehr, wenn nicht die meiste Aufmerksamkeit schenken sollten. Dies gilt aber auch in anderen Nichtsingsituationen, wo viele Menschen zusammenkommen und viel sprechen, lachen und schreien. Die Erkenntnis, dass Abstandhalten kein Allheilmittel und gute Luft auch sehr wichtig ist, setzt sich besonders seit dem 2. Halbjahr 2020 mehr und mehr durch. Dennoch behält die Maßnahme Abstandhalten ihren Wert, da in jedem Fall im Nahbereich die Infektionsgefahr über Tröpfchen und Aerosole deutlich am höchsten ist. Auch ist es unmittelbar einsichtig, dass Sänger im Chor weit genug auseinanderstehen sollten, dass sie sich beim Singen nicht anspucken können.
Dennoch muss gesagt werden, dass es hier primär um den individuellen Schutz geht. Spontane Superspreadingevents gehen nur auf Übertragungen durch die Luft zurück, und solche gibt es nicht durch Nichteinhaltung von Abständen im Chor ohne Choreographie, da es keinen kurzfristigen Dominoeffekt bei der Ansteckung gibt. Die Latenzzeit (die Zeit zwischen Ansteckung und Ansteckungsfähigkeit von zumeist mindestens 2,5 Tagen, manchmal auch darunter) verhindert einen solchen Effekt. Superspreadingevents aufgrund nicht eingehaltener Abstände sind allenfalls realistisch anzunehmen, wenn Menschen über einen längeren Zeitraum von Tagen immer wieder zusammenkommen).
Dass Abstandhalten statistisch viele Ansteckungen vermeiden kann ist mathematisch voraussagbar und durch Statistiken hinreichend belegt. Neu dabei ist allenfalls die Erkenntnis, dass ab einer Entfernung zur Ursprungsquelle von 20 cm beim Sprechen oder Singen oder ab 50 cm beim Husten, die Ansteckungsgefahr über Aerosole bereits größer ist als durch so genannte ballistische Tröpfchen (Chen et al. 2020). Das höchste Risiko besteht zweifellos bei einer Face-to-Face-Situation, wobei beim Sprechen, Singen, Husten oder Niesen ausgestossene Tröpfchen dem Gegenüber unmittelbar ins Gesicht und damit auf die für eine Infektion empfindlichen Schleimhäute gelangen können und/oder aber die Konzentration an infektiösen Aerosolen, die das gegenüber unmittelbar einatmet, in der unmittelbaren Nähe zum Emitter am höchsten ist.
Das Abstandhalten, das so genannte Social Distancing, bleibt nach wie vor eine der nützlichsten und wirksamsten Maßnahmen, um sich selbst zu schützen und um die Ausbreitung einer Pandemie zu verlangsamen oder im Idealfall zu stoppen. Wie gross dieser Sicherheitsabstand günstigerweise sein soll, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die WHO empfahl von Anfang an 1 m, das amerikanische CDC 6 feet (1,8 m). In Europa wurde etwa in Frankreich, Italien oder Österreich ein Abstand von 1 m gefordert, in Deutschland, den Niederlanden oder in Belgien 1,5 m und in der Schweiz oder in England, USA, Kanada, Spanien oder Neuseeland 1,8 (6 feet) bis 2 m. Manche Länder haben ihre Regeln auch während der Pandemie geändert, die Schweiz von 2 m auf 1,5 m reduziert, Österreich aktuell (Ende Januar 2021) den Abstand umgekehrt von 1 m auf 2 m erhöht. Dänemark reduzierte von 2 m allgemein auf 1 m, setzte aber Ausnahmen – und dazu gehörte das Singen.
In einer Metastudie hatten Forscher aus Kanada im Sommer 2020 versucht zu eruieren, wie sich der Effekt des Abstandshaltens abhängig von der Distanz verhält (Chu et. Al 2020). Dabei werteten sie 172 Studien zu SARS, MERS und Covid-19 aus 16 Ländern aus. Durch einen konsequent eingehaltenen Abstand von 1 m können demnach statistisch schon sehr viele Ansteckungen vermieden werden (bis zu 80 %). Über den Daumen gepeilt soll dann noch einmal jeder Meter mehr (bis zu 3 m) Abstand das Ansteckungsrisiko halbieren. Wer sich also besser schützen will, fährt besser, wenn er 1,5 m oder 2 m statt 1 m Abstand hält, wobei 1 m Abstand auch schon sehr, sehr viel besser schützt, als die Abstände ganz zu missachten.
2. Gleiche Abstände beim Singen und beim Sprechen?
Chorverbände in aller Welt sind zum Teil einfach pragmatisch den geforderten allgemeinen Abstandsregeln in ihren Ländern gefolgt. Aber gilt beim Singen auch das Gleiche? Eine Gruppe von Menschen sitzt oder steht zusammen, oft einem Dirigenten gegenüber, und möglicherweise singen und artikulieren alle gleichzeitig mit großer Energie. Ist dann der ihnen gegenüberstehende Dirigent tatsächlich sicher und wenn ja, ab welcher Entfernung? Bespucken sich die Sänger nicht vielleicht gegenseitig, wenn sie eifrig und im Forte singen?
Am Anfang der Pandemie fehlten zu diesen Fragen Evidenzen und Forschungen oder waren unbekannt, und so gab es mehr nach dem Bauchgefühl Empfehlungen oder Vorgaben zu Abständen. Während bei manchen Chorverbänden 2 m zum Dirigenten als ausreichend gesehen wurden, forderten anderen Chorverbände 3, 4 oder 5 m oder einfach möglichst große Abstände vom Chor zum Dirigenten. Zwischen den Sängern wurden oft 1,5 bis 3 m Abstand vorgeschlagen oder auch Mischlösungen (z. B. Italien 1 m zur Seite, 2 m nach vorne). Das andere Extrem bildeten die Erstausgabe der Risikoabschätzung des Freiburger Instituts für Musikermedizin (25. 4. 2020) mit 3 bis 5 m zwischen den Sängern und die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (27. 4. 2020) mit mindestens 6 m Abstand zwischen den Sängerreihen und mindestens 3 m Abstand zwischen den Sängern einer Reihe.
Diese grossen Abstände zwischen Sänger und Sängerreihen, die die Nutzung vieler Räume unmöglich machte und auch sonst wenig praktikabel war, provozierten zum Widerspruch: Gab es für eine solche Maximalforderung überhaupt eine wissenschaftliche Evidenz? Sicherte sich vielleicht die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft nur prophylaktisch und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse von Künstlern ab? Zu diesen offenen Fragen gibt es mittlerweile etliche unmittelbare Studien und mittelbare Untersuchungen, die zu aufklärenden Antworten und besseren Einschätzungen hier geführt haben und auf die ich im Folgenden eingehen muss. Und auch die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft hat ihre Werte auf deren Grundlage nach unten korrigiert. Diese Studien gingen zum Teil auf unterschiedliche Aspekte ein, die für die idealen Sicherheitsabstände von Belang sein könnten oder sind. Nichts sagen die Antworten freilich darüber aus, wie groß ein Raum sein sollte, um die Ansammlung ansteckender virenbeladene Aerosole in der allgemeinen Raumluft zu vermeiden.
Ich möchte im Folgenden anhand von wissenschaftlichen Erkenntnissen zeigen, warum die Abstandsempfehlungen bei Singgruppen unabhängig von allgemeinen und differierenden Abstandsgeboten in einzelnen Staaten betrachtet werden sollten.
3. Luftbewegung bei Vokalisation gering
Mitunter wohl als Protest gegen die Forderung der VBG von 6 m Abstand beim Singen (und 12 m gar beim Blasen) oder von jemandem dazu angeregt, führte Strömungswissenschaftler Prof. Christian Kähler an der Bundeswehruniversität in München im Frühjahr 2020 eine Studie mit einer professionellen Sängerin, zwei Amateursängern und 5 professionellen Bläsern durch, die u. a. wohl zeigen sollte, dass Singen ohne große Luftbewegung geschieht (defacto besser gesagt: so möglich ist) und die genannten Abstände sowohl beim Singen als auch bei Blasinstrumenten übertrieben sind (Kähler und Hain 2020). In einer Versuchsanordnung mit professionellen Sängern demonstrierte das Forscherteam, dass die alte Maxime altitalienischer Gesangspädagogen möglich ist, nämlich dass man so singen kann, dass eine Kerze, die man vor den Mund hält, nicht flackert. Kähler hat das nachfolgende Video produziert, in dem Ergebnisse und Thesen des Teams kurz auf den Punkt gebracht werden.
Kähler stellt hierin die Ergebnisse seiner Messungen bei der Vokalisation vor:
„In einer Entfernung größer als 0,5 m ist selbst bei lauten und tiefen Tönen fast keine Luftbewegung mehr feststellbar.“
Prof. Christian Kähler, Strömungsmechanikexperte
Kählers Forschung hat zwar ihren Wert. Er hat die falsche Vorstellung vieler, dass Singen mit besonders großem Tropfenflug einher geht, ins rechte Licht gerückt. Zur Findung sicherer Abstände beim Singen reichte sie jedoch nicht aus. Die Ausbreitung von Aerosolen wird hier nicht erfasst, und an der Methodik, die primär an der Vokalisation orientiert ist, hat Rundfunkchorsänger David Stingl zu Recht Bedenken angemeldet:
“1. Die Texte beider Stücke waren in italienischer Sprache, also mit nicht aspirierten stimmlosen Plosiven. Stimmlose Plosive sind also bisher nicht untersucht worden.
2. Die Experimente wurden bisher zwar mit professionellen Sängern durchgeführt, jedoch nicht mit professionellen Chorsängern. Im Chorgesang, insbesondere bei Stücken mit großer Orchesterbesetzung, wird aber in der Regel eine (über-)deutliche Artikulation der Konsonanten praktiziert. In dieser Hinsicht bestand also noch Forschungsbedarf.”
David Stingl, Rundfunkchorsänger
Aufgrund dieser Studien vertrat Kähler jedoch in den Medien die schon damals fragwürdige und mittlerweile doch deutlich widerlegte These (siehe Menüpunkte Aerosolansteckung Indizien, Aerosolübertragung beim Singen), dass eine Ansteckung allein durchs Singen „äußerst unwahrscheinlich“ sei. Die Ansteckungsgefahr sah er eher im Begleitverhalten in einer Chorprobe:
„Bei Berichten, die das Singen als Erklärung für die Infektion großer Teile eines Chores anführen, sollte hinterfragt werden, ob nicht das Sozialverhalten der eigentliche Ursprung der Infektion ist.“
Prof. Christian Kähler
Vorsichtshalber empfiehlt er dann doch größere, jedoch nicht allzu große Abstände – aber nicht aufgrund des Singens selbst:
„In einem Chor sollte trotzdem ein Abstand von mindest 1,5 m eingehalten werden, um sich auch dann wirksam vor einer Tröpfcheninfektion zu schützen, wenn gehustet oder stark gelacht wird.“
Prof. Christian Kähler
Klammerbemerkung: Kähler ist niemand, der die Gefährlichkeit des Virus verharmlost. Mit großem Einsatz hat er seit Beginn der Pandemie, bereits mehrere nützliche Forschungsreihen zu verschiedenen Bereichen des Pandemieeindämmung durchgeführt. In der vorliegenden Studie gibt er uns Choristen gute Tipps aus seinem Fachgebiet der Aerodynamik mit.
Fast zeitgleich zu Kähler initiierten die Professoren Bernhard Richter und Claudia Spahn als Autoren der Freiburger Risikoabschätzung für Musiker (Spahn et Richter 2020) eine Studie mit Sängern und Instrumentalisten der Bamberger Sinfonikern, u. a. um ihre Vorsichtshalberempfehlung von 3-5 m Abstand beim Singen und die beim Blasen einer kritischen Prüfung zu unterziehen (Preprint online bisher nur für die Bläsersektion einsehbar? Spahn et al. 2020). Dabei wurde die Luftbewegung von Sensoren in unterschiedlichen Abständen gemessen. Die Autoren berufen sich bei ihren Empfehlungen auf ihre Messungen. Demnach konnten mit den den Sensoren auch bei einer forcierten Artikulation Luftverwirbelungen nur im Nahbereich diagnostiziert werden, nicht aber mehr bei 2 m Entfernung. Auf dieser Grundlage empfahlen sie in der Risikoeinschätzung:
“Somit kann dieser Abstand von 2 Metern als Sicherheitsabstand für die Tröpfcheninfektion auch bei forcierter Artikulation angesehen werden”
Prfs. Claudia Spahn und Bernhard Richter, Musikermediziner
4. Konsonanten bringen die Luft viel mehr in Wallung und die Tröpfchen fliegen weiter
Fliegen die Tröpfchen bei Konsonanten tatsächlich nur höchsten 2 m? Außer den Messungen von Richter und Spahn ist mir hierzu nichts bekannt. Nachdenklich könnten hier die Untersuchungen zum Tröpfchenflug beim Husten und Niesen machen, und zumindest für die direkt gegenüberstehenden wie Dirigent oder Zuhörer zu höherer Vorsicht aufrufen und den Abstand hier doch vorsichtshalber größer als 2 m zu empfehlen. Bald ein Jahrhundert lang war man der Meinung, dass ballistische Tröpfchen, wie sie bei der Artikulation entstehen, nicht weiter als 2 m fliegen können, bevor sie auf der Erde landen. Ab 2006 zeigt eine Studie nach der anderen, dass Husten und Nieströpfchen weiter als 2 m geschleudert werden können: ballistische (schwerkraftabhängige) Nieströpfchen können bis 8 m nachgewiesen werden, Hustentröpfchen bis zu 5 m Enfernung von der Ursprungsquelle. Ist die Bündelung der Energie und die Menge der geschleuderten Tröpfchen beim Niesen eine andere, so wird zumindest gleichermaßen durch den Mund gehustet wir auch gesprochen – also sollte hier auch ein Vergleich möglich sein. Jeder kann selbst probieren, ob er bei einem explosiv gesprochenen p nicht mehr Luftbewegung vor seiner Hand spürt als selbst beim stärksten selbst provozierten Husten. Fliegen durch Artikulation generierte Tröpfchen nicht vielleicht doch auch so weit, nur hat es bislang keine vergleichbar ernsten und umfangreicheren Messungen wie beim Husten gegeben, die das festgestellt haben?
Zhu et al. 2006 | Hustentröpfchen fliegen weiter als 2 m |
Xie et al. 2007 | Hustentröpfchen fliegen weiter als 2 m, Nieströpfchen 6 m |
Parieta et al. 2011) | Hustentröpfchen von 16 μm Größe konnten bis 7 m Entfernung nachgewiesen werden |
Bourouiba et al. 2014 | Partikel von 30 μm Größe wurden beim Husten und Niesen bis 2,5 m nachgewiesen |
Wei et Li 2015 | Bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 80% und einer Ausatmungsgeschwindigkeit von 10 m / s konnten 95% der mittleren Tröpfchen (50 μm) 4 m (~ 13 ft) zurücklegen. |
Bourouiba 2016 | ballistische Nieströpfchen fliegen bis zu 8 m |
Lee et al. (2019) | Die bei 10 Patienten vermessenen Hustentröpfchen flogen über 3 m |
Loh et al. 2020 | Ballistische Hustentröpfchen flogen in einer Studie bis 4.5 m |
5. Die unmittelbare Ausbreitung der Aerosole und ihr Drift
Einer anderen Fragestellung als das Team um Christian Kähler ging im Auftrag des Chorverbands Österreich ein Team um den Internisten Prof. Fritz Sterz an der Medizinischen Universität Wien nach (Sterz et al. 2020). Man wollte schauen, wie weit sich beim Singen produzierte gegebenenfalls infektiöse Aerosolwolken um Sänger*innen ausbreiten. 4 Chorsänger*innen (2 Amateure und 2 Semiprofis) erhielten zu dem Zweck eine zerstäubte 0,9-prozentige Kochsalzlösung, deren Ausbreitung beim Singen und Atmen vermessen wurde. Die dahinter stehende Idee, den Weg der Aerosole so sichtbar zu machen, ist plausibel, kennt doch jeder die Rauchwolken, die beim Zigarettenrauchen entstehen. Dass ausgepustete Rauchwolken weitreichen können, machen Youtuber immer wieder klar (Quelle Bild 1, Bild 2):


Diese Youtube-Bilder zeigen immerhin, dass eine Entfernung von 2 m durch heftiges Pusten gut überschritten werden kann. Die von Sterz vermessenen Sänger brachten es mit ihren Aerosolwolken beim Singen natürlich nicht auf solche Entfernungen wie die fest pustenden Youtuber. Beim ruhigen Atmen breitete sich die Nebelwolke um die Sänger sichtbar nur um 0,5 m aus. Von den Aerosolen konnten nach 0,9 m beim Singen nur minimale Spuren der vernebelten Kochsalzlösung in der Luft gesehen werden. Jedoch erreichte der Bass beim heftigen Ausatmen eine Wolke von 1,5 m nach vorne. Eine nicht beantwortete Frage blieb, wie hoch denn die Aerosolkonzentration noch in den Randbereichen war, wo die Aerosolwolken sich aufzulösen schienen. Es ist hierbei nur von “minimalen Anteilen” die Rede, und man hätte gerne gewusst, wie viel “minimal” bedeutet (Ich komme gleich darauf zurück). Sterz schlussfolgerte aus seinen Messungen:
“Eine Ausdehnung der Ausatemluft bei ChorsängerInnen von mehr als ~1m ist nicht zu erwarten! Tiefes Ein- und vor allem Ausatmen sollte vermieden…”
Prof. Fritz Sterz, Internist
Auf der Grundlage dieser Messung empfahl der Chorverband Österreich für Chöre einen Sicherheitsabstand von 1,5 m.
6. Abstand nach vorne erheblich wichtiger als der zur Seite
Einen ähnlichen Ansatz einer Aerosolmessung wie Sterz verfolgte ein Team um Prof. Matthias Echternach bei einer Messung mit 10 professionellen Sänger*innen (5 Männer und 5 Frauen) aus dem Chor des Bayrischen Rundfunks (Echternach et al. 2020). Das Team führte Lasermessungen im Dunkelversuch und Messungen mit E-Zigaretten auf einer Flüssigkeitsbasis von 50 % Glyerin und 50 % Propylenglykol durch. Die Versuchsanordnungen wurden mit drei hochauflösenden Fernsehkameras aufgenommen. Die Probanten trugen je einmal laut und einmal leise singend einen Ausschnitt aus Beethovens 9. Sinfonie: “Freude schöner Götterfunken…” vor, einmal normal, dann nur auf Vokalisen, dann nur den Text sprechend. Außerdem interessierte die Forscher das Verhältnis von Vokalen und explosiven Konsonanten und ihrer Kombination. Die Probanten wurden daher gebeten, die Konsonanten p, t, k, sch unmittelbar gefolgt von den Vokalen a, e, i, o und u zu singen. Erwartungsgemäß war die Ausbreitung bei den Konsonaten größer als bei den Vokalen. Interessanterweise hatte die Lautstärke kaum Auswirkung auf die Reichweite der Aerosolwolken, das die professionellen Sänger*innen auch bei leisem Vortrag mit guter Diktion aussprachen.

Während bei der gerade besprochenen Wiener Untersuchung keine Reichweite der Aerosole über 90 cm beim Singen gemessen wurden, lag bei Echternachs Untersuchung zwar die mittlere Ausdehnung der Aerosolwolken auch unter 1 m. Jedoch wurden in Gesangsrichtung auch Werte bis zu 1,4 m festgestellt. Klar äußerten sich die Forscher, dass der Ausstoß nach vorne von größerem Belang ist als die Ausbreitung der Aerosole zur Seite. Auch bedachten die Wissenschaftler im Gegensatz zu Sterz, dass sich die Aerosolwolke auch nach Abschluss jeder Aufgabe noch weiter ausdehnte, sodass hier wohl eher noch einmal eine Sicherheitsmarge einberechnet werden sollte. In ihrem Abschlussbericht empfahlen sie daher, dass die Abstände zur Seite mindestens 1,5 m, nach vorne aber 2 m betragen sollten. Im Interview empfiehlt Echternach Abstände nach vorne von 2 bis 2,5 m.
“Das bedeutet, der klassische Abstand, wie wir ihn aus dem Alltag kennen, ist nach vorne hin beim Singen zu gering.”
Prof. Matthias Echternach, HNO-Arzt und Stimmspezialist
“…sodass Sicherheitsabstände von 1,5 Metern wohl zu gering sind und Abstände von 2 bis 2,5 m sinnhafter erscheinen.”
Prof. Echternach
Motiviert durch ähnliche Überlegungen wie die von Echternach, was eine möglicherweise zielgerichtete Ausbreitung von Aerosolwolken anbelangt, die bei Abstandsempfehlungen möglicherweise berücksichtigt werden sollte, erforschte ein Team der Universitäten von Montpellier und Princeton die Ausbreitung der Aerosolkonzentration beim Sprechen (Abkarian et al. 2020). Die Erkenntnis, die die Forscher aus den Ergebnissen ableiteten, führte zum Titel ihrer von der PNAS veröffentlichten Abschlussarbeit: Speech can produce jet-like transport relevant to asymptomatic spreading of virus (dt. “Sprache kann einen strahlartigen Transport erzeugen, der für die asymptomatische Ausbreitung des Virus relevant ist”). Es ist anzunehmen, dass die Ergebnisse, sich auf gut artikuliertes Singen übertragen lassen. Die Forscher interressierte, wie Luftströme beim Sprechen durch Konsonanten, besonders durch so genannte Explosivlaute, zu einem Drift motiviert werden. Dabei untersuchten sie das Verhalten nach 0,5 m, nach 1 m und nach 2 m. Luftverwirbelungen wurden bei 0,5 m in Sekundenbruchteilen festgestellt, auch nach 1 m konnte eine schnelle Reaktion festgestellt werden.
“Phonetische Eigenschaften führen zu einer Komplexität der Luftströmungsdynamik, und plosive Geräusche wie „P“ erzeugen intensive Wirbelstrukturen, die sich wie „Puffs“ verhalten und schnell 1 m erreichen… Die phonetischen Eigenschaften von plosiven Lauten wie ,P’ führen zu einem verbesserten gerichteten Transport, einschließlich strahlartiger Strömungen, die die Umgebungsluft mitreißen.”
Abschlussbericht von Abkarian et al. 2020
Nach ihrer unmittelbaren Ausbreitung benötigte die Aerosolwolke jedoch ca. 30 Sekunden, um 2 m zurückzulegen. Die Forscher maßen dabei auch die Konzentration der Aerosole, die dort noch ankommt, wo sich die oben vorgestellte Studie von Sterz damit zufrieden gibt, von einem “minimalen Anteil” von Aerosolen in den Randbereichen der sichtbar gemachten Aerosolwolken zu sprechen. Ihrer Erkenntnis nach kommen beim Sprechen nach 2 m noch etwa 3 % der Aerosole der Ausgangskonzentration direkt an der Quelle, also am Mund des Sprechers, an. Umgerechnet hieße das wohl, dass jemand, der in 2 m Entfernung vom Sprecher einem einstündigen Monolog zuhört, gleich viele möglicherweise infektiöse Aerosole einatmet, als würde er dies 2 Minuten direkt vor dem Mund des Sprechers tun. Vier Fünftel aller Infizierten sind zwar wenig ansteckend, weshalb die Ansteckungsrate auch in Familien nicht zu hoch ist, und nicht mit der Situation verglichen werden kann. Aber wer würde sich – die Ergebnisse noch einmal übertragen – wohl bei einer zweistündigen Chorprobenzeit 4 Minuten lang ununterbrochen und unmittelbar von einer hochansteckenden Person anhauchen lassen wollen, wenn er wie der Dirigent oder allfälliges Publikum den Sängern in 2 m Entfernung gegenübersteht? Es ist also gut vorstellbar, dass die von Sterz bezeichneten “minimalen Anteile” von Aerosolen im Randbereich seiner oben beschriebenen Messungen, nach vorne hin auch auf die Dauer eine Summierung von Aerosolen bewirken, die bei einer infektiösen Person als Sender dieser Aerosole durchaus ansteckungsrelevant ist. Es mag hier noch eine Rolle spielen, ob die emittierten Aerosole von hinten an die Köpfe der Sänger*innen vorderer Reihen stoßen, oder ob sie dem Dirigent oder allenfalls nahe sitzendem Publikum konfrontativ entgegenwehen. Die von Echternach abgegeben besonderen Vorsichtshalber-Abstandsempfehlungen von 2 oder 2 ,5 m nach vorne sind also vollauf berechtigt und sollten wohl für Dirigent und Publikum noch einmal erhöht werden.
Die Forscher machten auch deutlich, wie die unterschiedlichen Formungen von Vokalen und vor allem wohl von Konsonanten die Luft in verschiedene Richtungen verwirbelt – anschaulich gemacht etwa anhand der folgenden Graphik aus ihrem Abschlussbericht.

Wie Sprache Aerosole bzw. Tröpfchen in unterschiedliche Richtungen nach vorne unterschiedlich verwirbelt dokumentiert auch gut eine australische Aerosolstudie zum Singen unter der Leitung der australischen Seuchenforscherin Prof. Raina McIntyre (Bahl et al. 2020). Hier wurde die Verwirbelung der Aerosole bzw. der unmittelbare Drift der Tröpfchen beim Singen einer solmisierten Tonleiter (also auf die Tonnamen do, re mi…) durch Laserlicht sichtbar gemacht. Es ist gut zu sehen, wie die Konsonanten je nach Lippen und Zungenstellung andere Wirbel erzeugen, die hier durch die fliegenden Tröpfchen erahnbar werden.
Dass wie von Echternach thematisiert konische Abstandsempfehlungen für Chöre (also nach vorne viel mehr als zur Seite) sinnvoller sind, zeigen auch die Berechnungen, die mit Japans Supercomputer Fugaku, der auch zur Bekämpfung der Pandemie eingesetzt wird, zur Entstehung und zum Verhalten von Aerosolwolken beim Sprechen, sehr konkret aber auch beim Chorsingen angestellt wurden.
Demnach erreichen bei 2 m Enfernung nicht nur 3 % der Tröpchenmenge der Ausgangsquelle, dem Mund des Sprechers, zeitverzögert das direkte Gegenüber erreichen, sondern bei 30 % Luftfeuchtigkeit in einem Raum 5 %. Bei 90 % Luftfeuchtigkeit seien es aber nur noch 2 %. Demnach nimmt der Prozentsatz der Aerosole, die ein Gegenüber erreicht mit wachsender Luftfeuchtigkeit ab – ein Grund dafür die Luftfeuchtigkeit in einem Raum zu erhöhen (empfohlen zwischen 40 und 60 %).
Die nachfolgenden Bilder aus den vorangegangen Videolinks (1, 2) zu den Simulationen Fugakus dokumentieren,
- dass es sinnvoll ist, genügend Abstand zwischen einzelnen Chorreihen zu halten (mind. 2 m, besser 2,5 m), wenn ohne Masken gesungen wird
- dass es sinnvoll ist, die Reihen versetzt aufzustellen und im Chor auf Lücke zu singen, wenn ohne Masken gesungen wird
- dass es vielleicht aufgrund der Streuung der Aerosole nach 2 m auch in den vorderen Reihen eines Chors sinnvoll sein könnte, die Chorsänger dort seitlich weiter auseinander zu platzieren, als es die Aerosolmessungen unmittelbar nahe gelegt haben, wenn ohne Masken gesungen wird
- dass auch die fröhliche Stunde vieler Chöre an Einzeltischen im Chorprobenraum oder in Restaurants nach einer Chorprobe ein gewisses Ansteckungsrisiko birgt ( welches durch das Tragen von Masken deutlich minimiert werden kann).



7. Schwierigkeiten praktischer Anwendung – Social Distancing unnormal, Konzessionen oder Konsequenz gefragt?
Abstände einzuhalten ist nicht immer leicht. Zum einen fühlt es sich unnatürlich, um nicht zu sagen auch unhöflich an, von anderen Menschen beim geforderten Social Distancing so viel Abstand gegenüber zu wahren, wie etwa dem Chef in einem großen Unternehmen oder einer anderen Autoritätsperson gegenüber. Die Menschen halten von sich aus nicht die Abstände ein, die vorgeschlagen werden, sondern tendieren immer wieder zu viel kleineren Abständen. Aus vorgeschlagenen 1,5 m oder 2 m Sicherheitsabstand werden dann leicht 75 cm oder noch weniger. In einer gängigen Alltagssituation, vor allem da, wo etwa nicht oder nur leise gesprochen wird, wird hier vermutlich auch in den wenigsten Fällen (es kann doch!) etwas passieren. Hinzu tritt, dass nicht mehr so gut hörende Menschen, oft Ältere, die ja besonders bevorzugt in Chören singen, das Abstandhalten beim Singen als eine besondere Schikane empfinden. Haben Sie sich doch bislang vielleicht an einem besonders sicher singenden Nachbarn orientiert, der jetzt nicht mehr unmittelbar daneben steht. Man kann daher diejenigen verstehen, die sagen, sie möchten leider unter diesen Umständen nicht mehr singen, bis die Abstände nicht mehr eingehalten werden müssen. Man kommt ja zum Singen, weil es gut tut, und nicht, wenn der Ärger überwiegt…
Dennoch sollten hier auf dem Hintergrundwissen der besonderen Ansteckungsgefahr und der speziell hohen Aerosolkonzentration beim Singen nicht Konzessionen am falschen Ort gemacht werden, sondern Chorverantwortliche sollten auf die Einhaltung von sinnvollen Sicherheitsabständen drängen, besonders nach vorne zwischen den Reihen.
Aber wie bestimmt man die Abstände: Technisch oder nach Vorstellungskraft? Mit Vorstellungskraft arbeiteten manche Plakate wie das folgende:

Neben solchen eher amüsanten Tipps eignet sich die Vorstellung, dass zwischen die Sänger*innen oder zwischen die Reihen bekanntere Gegenstände passen (z. B. ein Motorrad, die Länge eines Bett, ein Klavier mit noch etwas Abstand nach beiden Seiten):



Viele Chorleiter hatten im vergangenen Sommer einen Zollstock dabei. Der ist im ausgeklappten Zustand die Mindestempfehlung für Abstände nach vorne genau 2 m. Unter Umständen ist es angebracht, Bodenmarkierungen anzubringen, wo Sänger*innen stehen oder sitzen sollten. Eine gute Orientierungshilfe für eingehaltene Abstände kann auch sein, dass die Sänger ihre Arme zur Seite ausstrecken und auf ihrer Position im Kreis drehen. Wenn sie dann mit niemandes anderen Händen kollidieren, befindet man sich auf gutem Weg.
Abstände werden natürlich auch immer wieder verkleinert, wenn die Einsicht für diese Maßnahme fehlt. Meine Webseite bietet für Chorverantwortliche viel Material für Argumentationen und zur Nennung guter Gründe, warum diese Maßnahme speziell in Singgruppen so wichtig ist.
8. Masken, Visieren und Plexiglas zur Optimierung der Abstände?
Alle vorangegangenen Untersuchungen blicken auf das Problem der Abstände unter der Bedingung, dass keine weiteren Hilfsmittel eingesetzt werden wie Masken, Visiere oder Plexiglaswände, die einen möglichen Tröfpchenflug und den Drift konzentrierterer Aerosolwolken auffangen oder abblenken. Tatsächlich helfen diese Maßnahmen, auch Abstände zu verkleinern, wie Forscher auch wiederholt gezeigt haben. So äußert sich etwa Prof. Fritz Sterz, der die Aerosoluntersuchung im Auftrag des Chorverbands Österreich durchführte in seinem Abschlussbericht:
“Natürlich konnte vor allem durch Mund-Nasen-Schutz-Masken, welcher Art auch immer, die Ausdehnung dieser Wolke signifikant eingeschränkt werden“
Prof. Fritz Sterz, Internist
Jedoch sind bei der Erwägung, durch äußere Hilfsmittel Sicherheitsbstände im Chor zu verkleinern zwei Aspekte von großer Relevanz. Das Tragen von Masken und Visieren oder das Aufstellen von Plexiglasscheiben sollten nicht dazu genutzt werden, alle beliebigen Aufstellungen zuzulassen bzw. beliebig viele Chorsänger auf engem oder kleinem Raum auftreten zu lassen.
a. Die Aerosolkonzentration wird durch Masken und Visiere möglicherweise abgelenkt und erfordert neue Aufstellungs- und Abstandsüberlegungen
Das nachfolgende Video der Technischen Universität Delft zeigt eine Visualisierung des Aerosoldrifts beim Tragen unterschiedlicher Masken und wie der Aerosolstrom durch das Tragen von Masken umgelenkt werden kann, sodass neue Gefährdungszonen entstehen:
“Better not stand behind (dt. besser nicht dahinter stehen)”,
raten die Forscher im Film besonders beim Einsatz einfacher chirurgischer Masken, da die Aerosole einen Drift zur Seite nach hinten entwickeln.
Es ist daher nicht damit getan, einfach eine Maske aufzuziehen und dann sämtliche mögliche Aufstellungen in einem Raum zuzulassen – auch nicht bei einem Konzert, wo es sich vielleicht anbietet, dass eine Chor eine bestimmte Position einnimmt. In diesem Sinne schlägt das englische Gesundheitsministerium in seinem Leitfaden COVID-19: suggested principles of safer singing vor:
“Sänger stehen mindestens 2 Meter in alle Richtungen auseinander (aber mindestens 1 Meter von einander entfernt, wenn zusätzliche Massnahmen oder Kontrollen, angewendet werden, die im COVID-19 guidance for the performing arts der Regierung empfohlen sind”.
Solche “wie das Tragen von Masken” heißt es dort. D. h. also 15 Sänger*innen dürfen dann auch nicht auf einem Platz von 10 m auf einer Empore nebeneinander stehen, sondern vielleicht allenfalls acht, wenn sie Maske tragen. Und es ist zu empfehlen, dass auch Chöre in anderen Länder hier nicht Konzessionen am falschen Ort machen, nur weil es sich so besser organisieren lässt. Die Aerosoleproduktion bleibt im Nahbereich in aller Regel hoch, auch wenn sie durch die gängigen Masken in unterschiedlichem Maß vermindert – aber eben nicht gestoppt wird. Auch wenn in anderen Bereichen davon auszugehen ist, dass durch das generelle Tragen von Masken viele Ansteckungen auch im Nahbereich unterbunden werden können, so bedenke man, dass speziell beim Singen sehr viele kleinere Aerosole mehr als beim Sprechen produziert werden, die leichte durch den Maskenstoff gehen können und die Aerosolkonzentration um Singende immer noch ungleich höher machen, als bei Sitzendem in einem Zug, wo die Maßnahme ihre Berechtigung hat.
b. Das Tragen von Masken oder die Nutzung von Visieren und Plexiglasscheiben erlaubt aufgrund der allgemeinen Aerosolbildung gegebenenfalls nicht, beliebig viele Menschen entlang der neugewonnenen Abstände i vorhanden n einem Raum zuzulassen
Der Einsatz von Hilfsmitteln wie Masken, Visiere und Plexiglaswände, die Tröpfchenflug und unmittelbaren Aerosoldrift aufhalten können, bedeutet nicht automatisch, dass damit die Ansteckungsgefahr gebannt ist, und erlaubt nicht, die Zahl der Sänger in einem Raum beliebig zu erhöhen. Plexigläser und Visiere ändern nichts an der pauschalen Aerosolproduktion in einem Raum, die irgendwann eine kritische Marke erreichen kann, wo es möglich ist, dass Anwesende sich gegebenenfalls auch über die allgemeine Raumluft infizieren können. Masken halten zwar je nach ihrer Qualität einen kleineren bis größeren Teil der Aerosole auf. Aber auch bei ihnen ist je nach Qualität irgendwann ihr Potenzial, Ansteckungen abzuhalten, erschöpft.
Zusammenfassung und Konsequenzen: noch offen
Welche Abstände zum Chor sind für Chorleiter*innen und Korrepetitor*innen sicher? (Antwort)
Die Antwort auf die Frage ergibt sich aus dem Erläuterungstext zur Frage nach den günstigsten Sicherheitsabständen für Sänger*innen: Wenn durch das Singen entstehende Aerosole über 2 m geradeaus getragen werden können, wobei bis zu 6 % der Aerosole diese Distanz mit kurzer Zeitverzögerung überwinden können, bevor sie in der gesamten Raumluft aufgehen, und wenn sie außer bei Temperaturen von deutlich über 30 % dan durch die Thermik aufwärts getragen werden, dann sollte der Grundabstand der Chorleiter*innen und Korrepetitor*innen nicht 2,5 m zur ersten Chorreihe unterschreiten, wenn keine Masken getragen werden. Allerdings ist wegen der Thermik unbedingt zu berücksichtigen, dass der Abstand um einiges größer sein sollte (3 bis 4 m?), wenn etwa der Kopf der Dirigent*innen sich über dem Niveau der Sänger*innen befindet (etwa wenn die Chorleitenden stehen und die Sänger*innen sitzen oder wenn die Chorleitenden auf einem Podest stehen).

Die Graphik zeigt schematisch optisch den Weg von Tröpfchen und Aerosolen auf dem Weg vom Mund. Der thermische Auftrieb der Aerosole nach einer gewissen Distanz ist angedeutet.
Welche Abstände vom Chor sind für sitzende Instrumentalisten sicher? (Antwort)
Auf der Grundlage der Hintergrundinformationen, die ich bei der Frage zum Sicherheitsabstand unter Sänger*innen diskutiert habe, sind sitzende Instrumentalisten außerhalb der Spuckweite von ca. 1,5 m bereits recht sicher vor einer potenziellen Ansteckung durch infizierte Sänger*innen, die hinter ihnen stehen, wenn ihr räumliches Niveau tiefer ist als das der Sänger*innen. Denn die Thermik sorgt dafür, dass nur die Tropfen fallen, Aerosole aber, die wärmer sind als die Umgebungstemperatur und die nicht mit Impetus nach unten ausgestoßen werden, aufsteigen und nicht sinken. Damit gehen sie über die Instrumentalisten hinweg. Sitzen Instrumentalisten und Sänger*innen auf gleichem räumlichem Niveau, so wächst der Sicherheitsabstand auf 2,5 m.
Gegenseitiges Ausweichen über Wegesysteme (kurzer Erläuterungstext)
Einbahnwege zum gegenseitigen Ausweichen sind mittlerweile jedem geläufig und in vielen Hygienekonzepten etabliert. Auch bei Chören wurde diese Maßnahme vorgeschlagen bzw. auch praktiziert. Da, wo wenige Menschen anwesend sind und zügig und gut aneinander vorbeikommen, ist die Maßnahme wohl weniger effektiv als in einem Raum, in dem sich viele Menschen befinden und der einen ungestörten Bewegungsfluss nicht so gut zu lässt. Sie ist also wohl vor allem bei größeren Gruppen sinnvoll, um unnötige Stauungen zu vermeiden und den fliegenden Tröpfchen anderer aus dem Weg zu gehen, wenn keine Masken getragen werden.
Man mache sich bei eventuellen Überlegungen zu solchen Maßnahmen einfach klar: So lange der einzelne sich frei im Raum bewegen kann, ist wohl vor allem dann, wenn keine Masken getragen werden, der Tröpfchenflug, also die Tröpfcheninfektion, eine mögliche Gefährdung. Diese wiederum steigt aber erst dann nennenswert an, wenn gesprochen wird, sprich: wenn durch eine feuchte Aussprache überhaupt wahrscheinlich ist, dass Tröpfchen fliegen können. Sobald es allerdings zu Stauungen und zur Ansammlung mehrerer Personen auf engem Raum kommt, tritt die Gefährdung über eine Aerosolinfektion in der Nähe hinzu. D. h. man ist dann nicht automatisch geschützt, weil niemand einen unmittelbar anspucken kann, etwa weil man knapp hinter oder seitwärts von einer Person oder vor ihr mit abgewandtem Gesicht steht.
Es ist anzunehmen, dass das Tragen einer Maske, diese Gefährdung nur reduziert, aber nicht nimmt, und auch je nach Maskenqualität und schlechtem Sitz eine falsche Sicherheit versprechen könnte. Wenn man davon ausgeht, dass sich aufgrund getragener Masken ohne den Drift von Konsonanten die Aerosole gleichmäßig nach allen Seiten ausbreiten würden (was sie wegen der Thermik wohl nicht so tun), dann würde die Konzentration bei Halbierung der Entfernung in dritter Potenz ansteigen. D. h. ich bekomme unter diesen Voraussetzungen bei einem Abstand von 50 cm zu einer Person ungeschützt 8-mal mehr Aerosole ab, als wenn ich 1 m von ihr entfernt stehe. Reduziert nun die Maske beim Empfänger und beim Sender der Aerosole die Aerosolmenge jeweils um die Hälfte, also insgesamt auf ein Viertel, so würde ich bei 50 cm nun doppelt so viele Aerosole einatmen, als wenn die Person 1 m von mir steht und keine Maske trägt. Tatsächlich dürfte hier die Thermik – d. h. die Kraft, die die wärme Ausatmungsluft in kälterer Umgeben aufsteigen lässt – dazu beitragen, dass in diesem Abstandbeispiel die Reduktion der Aerosole auf 50 cm noch viel geringer ist, weil nach 1 m schon viel mehr Aerosole dem Aufwärtsdrift der Thermik gefolgt sind als nach 50 cm.
Wie dem auch sie: Hier beeinflusst allerdings auch die Länge der Expositionszeit – also die Zeit, der man dieser Situation ausgesetzt ist – die Möglichkeit, in einer solchen Situation eine nennenswerte Virendosis abzubekommen.
Wenn ein Wegesystem sinnvoll erscheint, könnten folgende Überlegungen dies auch noch sein:
- Nicht jeder Raum lässt ein solches Wegesysteme zu. Wenn es bei einer großen Gruppe absehbar zu Stauungen kommt, wäre zu überlegen, den Raum zu wechseln, oder allenfalls weitere Regeln einzuführen, die das Problem vor Ort lösen könnten.
- Nicht jede Aufstellung lässt ein Wegesystem zu. Es wäre also gegebenenfalls zu überlegen, ob man eine Aufstellung der Stühle so ändert, dass ein Wegesystem möglich ist.
- Unter Umständen könnte angeordnet werden, dass auf den Wegen nicht gesprochen werden soll.
Husten- und Niesetikette im Chor besonders wichtig (kurzer Erläuterungstext)
Die Husten- und Niesetikette, eben in die Armbeuge oder ein Taschentuch zu husten oder zu niesen, und dieses dann zu entsorgen, gehört zum allgemein empfohlenen Maßnahmenrepertoire der Pandemie. Jedoch gibt es im Hinblick aufs Singen zwei
- Sehr viele Aerosole beim Niesen: Beim Niesen werden sehr viel mehr Tröpfchen und Aerosole produziert als beim Singen und Husten. Man sollte als Chorsänger*in oder Dirigent*in, wenn man Niesen muss, doch unbedingt darauf achten, dass möglichst wenig Tröpfchen und Aerosole überhaupt in die Raumluft entweichen können.
- Tröpfchen fliegen beim Husten und Niesen besonders weit: Wir sind meistens mit einer grösseren Die Abstandsregeln, die wir beim Chorsingen beachten sollten, resultieren auf Allerdings muss man schon auch den Kopf fastnach hinten legen, um eine solch grosse Reichtweite zu erreichen.
Können Sicherheitsabstände beim Singen durch Masken, Visiere oder Raumteiler reduziert werden?
2. Gute Luft im Raum: Frischluft im Chor besonders wichtig
Wenn wie gezeigt Aerosole (mindestens) im Chor die wichtigste Übertragungsquelle für Corona-Infektionen sind und wenn man weiss, wie ungleich mehr Aerosole beim Singen entstehen als beim normalen Sprechen und viel mehr noch als beim blossen Atmen und wie die sängerische Atmung leider die Corona-Ansteckungen begünstigt, dann sollte das größte Sicherheitsinteresse der Chöre darin liegen, Aerosolen oder ihrer übermäßigen Produktion aus dem Weg zu gehen.
Neben dem Schutz durch Masken liegt hier der Fokus auf eine effektiven Lüftung. Die Reinheit der Luft, die Zuführung unverbrauchter Frischluft und die grösstmögliche Vermeidung bereits geatmeter Luft, ist tatsächlich im Zweifelsfall entscheidend für unsere Sicherheit in den Chören. In vielen Ländern bin ich jedoch auf Corona-Maßnahmenempfehlungen für Chöre ohne oder nur mit beiläufigen Lüftungshinweisen gestoßen, was offenbar mit der mangelnden Kenntnis des Aerosol-Übertragungswegs zu tun hat. Es ist anzunehmen, dass sich das Bewusstsein wegen der grösseren Aufmerksamkeit um die Aerosolfrage und die immer breitere werdende Erkenntnis mehr und mehr etabliert, dass Corona sich in schlechtbelüfteten Räumen und da, wo viele Menschen in Innenräumen zusammen kommen und besonders dann wenn sie lachen, singen und schreien, am leichtesten ausbreitet. Im deutschsprachigen Raum hatten dagegen die Musiker-Risikoeinschätzungen aus Freiburg und Berlin zu Recht schon frühzeitig und mit gutem Recht auf den Wert guter und gegebenenfalls auch häufiger Lüftung verwiesen. Aber Lüftung ist nicht gleich Lüftung.
Allgemein gute Luft: Outdoor-Singen ungleich sicherer als Indoor-Singen (Erläuterungstext vorhanden)
Solange die Pandemie währt, ist die Outdoor-Situation beim Singen, auch wenn ein Restrisiko durch ungünstige Windbedingungen besteht (auf die man achten kann), der Indoor-Situation unbedingt vorzuziehen. Superspreader-Events sind im Freien nicht zu erwarten. Das Virus hat dort keine Chance, auf viele Menschen gleichzeitig überzuspringen. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass es im Außenbereich per Tröpfchenflug Ansteckungen beim Singen geben könnte, jedoch sind entsprechende Fälle bislang nicht bekannt geworden. Wenn alle Masken tragen würden, wäre diese Möglichkeit wohl ausgeschlossen. Wenn Regierungen oder Institutionen im Krisenfall das Singen während der Pandemie ganz verbieten, so sollte doch wenigstens die Openair-Variante unter Einhaltungen der genannten Maßnahmen jederzeit möglich sein.
Unter den empfohlenen Schutzmaßnahmen für Chorsänger gehört die Empfehlung, an der frischen Luft zu singen, zu den effektivsten Empfehlungen. Die Risikoeinschätzung des Freiburger Instituts für Musikermedizin kommentiert: “Bei Einhaltung des Mindestabstandes ist das Risiko für das Singen und Musizieren im Freien… als sehr gering einzuschätzen. Für das Musizieren mit mehreren Personen ist… die Openair-Situation die erst Wahl.” Viele Hygienekonzepte für Chöre empfehlen Outdoor-Proben. Nach dem Lockdown im Frühjahr haben einige Hygienekonzepte dies sogar zunächst verbindlich vorgeschrieben. Openair-Singen war als Option nach dem Ende der Lockdowns eine gute Möglichkeit, mit Chören wieder starten zu können und die Sänger zu ermutigen, wieder zu kommen.
Im Sommer ist eine solche Empfehlung natürlich sehr viel leichter umzusetzen als im Winter. Man kann eine Probe auch in den kälteren Zeiten des Jahres in Außen- und Innenprobe aufteilen. Einsingen und das Singen leichterer Lieder geht selbst im Winter draussen, wenn es dunkel ist. Oder man singt sich das innen Erarbeitete im Anschluss draußen nochmals als kleines Konzert vor und kann so die Probenzeit verlängern. Auch können Chöre sich überlegen, ob sie Intensivchorphasen und Konzerte nicht vernünftigerweise unter Einbezug von frischer Luft oder ganz an der frischen Luft (Innenhöfe, Pavillion, Kreuzgänge, offene Hallen usw.) durchführen, um Ansteckungsrisiken zu minimieren.
Kaum Mehrfachansteckungen im Aussenbereich bekannt
Hintergrund der Empfehlung zum Openair-Singen war die Beobachtung, dass Ansteckungen mit Corona im Aussenbereich ungleich seltener stattfinden als im Innenbereich. Am Anfang dieser Erkenntnis standen zwei im April bei MedRxiv (eine Preprintplattform für medizinische Fachartikel) erschienene Auswertungen von Corona-Ausbrüchen in Japan und China, die gleichzeitig auch die Relation von Infektionsherden im Innen- und im Außenbereich untersucht hatten.
- Bei einer Auswertung von 110 Ansteckungsfällen aus 11 Clustern ermittelten japanische Forscher, dass in dem Fall das Ansteckungsrisiko im Aussenbereich 18,7-mal geringer war als in Innenräumen. Die Forscher wiesen darauf hin, dass diese Beobachtung die Wirksamkeit von Versammlungsverboten in Innenräumen unterstrich, die China verordnet habe, worauf die Ansteckungen dort zurückgingen.
- Ein noch sehr viel geringeres Infektionsrisiko im Aussenbereich suggerierte eine viel umfangreicher Untersuchung chinesischer Wissenschaftler, worin sie über eine Auswertung der 7234 bestätigten Corona-Fälle in der Provinz Hubei bericheten. Darunter konnten 318 Ausbruchsherde lokalisiert werden, bei der mehr als eine Person infiziert wurde. Lediglich in einem Fall geschah dies im Außenbereich, und dort wurden nur 2 Personen angesteckt. Nie mehr. Die Forscher folgerten daraus, “dass die gemeinsame Nutzung von Innenräumen ein großes SARS-CoV-2-Infektionsrisiko darstellt”, während Outdoor-Ereignisse eine ungleich höhere Sicherheit versprechen.
Diese Forschungen decken sich mit allgemeinen Beobachtungen in vielen Ländern, die in der Folgezeit gemacht wurden, und haben das allgemeine Bewusstsein für die Gefährdungssituation innen und außen verändert. Sie haben viele Wissenschaftler auch davon überzeugt, dass die Gefährdung viel mehr von Aerosolen ausgeht, als von Kontakt- und Tröpfchenübertragungen.
In jüngster Zeit wurden jedoch zwei Outdoor-Superspreading-Ereignisse geltend gemacht, die die These vom sichereren Aussenbereich relativeren sollte: der Ausbruch vor dem Weißen Haus mit 40 Infektionen und ein Biker-Treffen im amerikanischen Sturgis (South Dakota), wo im August 2020 über 460.000 Biker zusammen kamen. Bei näherem Hinsehen, worauf auch der Virologe Alexander Kekulé aufmerksam macht, wird die Vermutung durch viele Alternativerklärungen entkräftet. Bei dem Biker-Treffen wurde nächtelang wild in Bars gefeiert, null Auflagen von der Stadt gemacht, Masken nicht getragen, Abstände nicht eingehalten. Ähnlich verantwortungslos war man auch im Weißen Haus, wo man sich umarmte und auch in Innenräumen weiterfeierte.
Warum das Ansteckungsrisiko im Aussenbereich viel geringer ist
Warum ist das Ansteckungsrisiko nun im Aussenbereich geringer? Oft wurde gesagt, dass der Aussenbereich deshalb sicherer sei, weil dort aufgrund des grösseren Raumangebotes Abstände leichter eingehalten werden können. Das Team vom Freiburger Institut für Musikermedizin erklärt die geringere Ansteckungsgefahr in ihrer Risikoeinschätzung für Musiker jedoch durch diese zwei Umstände:
“Es ist zu vermuten, dass Aerosole sich im Freien schneller verteilen, der Inaktivierungsvorgang der Erreger stark beschleunigt ist (UV, Ozon, Hydroxylradikale, Stickoxide) und in der Gesamtwirkung dadurch das Ansteckungsrisiko viel geringer ist.”
Vielleicht treffen alle Aspekte zu. Jedoch halte ich den Aspekt, dass Aerosole an der Luft sehr schnell verdünnt werden, hier für das führende Argument: Ein grösseres Ausbruchsgeschehen hat rein an der frischen Luft keine Chance, weil dort niemals die Chance besteht, dass viele Menschen gleichzeitig ein so hohe Viruslast über die Luft abbekommen können, wie dies in Innenräumen gut möglich ist. Individuelle Tröpfcheninfektionen können an der frischen Luft jedoch genauso gut stattinden, weshalb es auch hier empfehlenswert ist, die Sicherheitsabstände einzuhalten.
Infektionsgefahr durch Tröpfchenflug im Wind?
Eine Studie an der University of Nikosia (Zpyern) hat gezeigt, dass Tröpfchenwolken durch einen Luftstrom von gerade einmal 15 km/h 6 m weit transportiert werden können, allerdings verlieren sie dabei stetig Höhe, so dass tiefer stehende oder sitzende Personen über weitere Distanzen noch gefährdeter sein könnten. Bislang bin ich jedoch auf keinen Bericht gestoßen, dass sich jemand außen beim Gruppensingen mit Corona infiziert hätte (Kennt jemand gegebenenfalls einen solchen Fall?) Dennoch sollte auch darauf verwiesen werden, dass ungünstige Windbedingungen denkbar sind, besonders dann, wenn ein kontinuierlicher Luftzug stattfindet, durch den auch grössere Tröpfchenwolken weiter als 1,5 oder 2 m transportiert werden können. Solche Situationen sind gut denkbar, wenn der Wind durch das Gelände oder durch die Architektonik kanalisiert wird, denn in der Regel sorgen Turbulenzen dafür, dass die Tröpfchen nicht alle zusammenbleiben. Eine Kanalisierung der Luft könnte dann zu Ansteckungen eines Singnachbarn oder weiter entfernter Sänger führen. In diesem Sinne schreibt auch der Experte für Strömungsmechanik, Prof. Christian Kähler, von der Bundeswehruniversität München:
“Das Musizieren im Freien kann bei Befolgung der Abstands- und Aufstellungsregeln als weitgehend sicher angesehen werden, es sei denn, es herrscht ein leichter und gleichmäßiger Seitenwind, der die kontaminierte Luft über einge größere Entfernung transportiert, ohne dass eine Reduzierung der Virenlast durch Turbulenzen oder eine starke Dehnung der Tröpfchenwolke nach dem Ausatmen stattfindet.”
Prof. Christian Kähler, Strömungsexperte
Allgemein gute Luft: Große Proben- und Konzerträume – welches Raumvolumen sollte eine Probenraum haben? (Erläuterungstext wird noch erweitert – am Anfang stehend)
Nach Openair-Proben sind große Räume vorerst die beste Wahl, um das Risiko einer Aerosolinfektion im Chor gering zu halten, denn Singen produziert bekanntlich eine Menge von Aerosolen, die im Fall eines oder mehrerer höher infizierten Singenden im Raum die Mitsingenden anstecken könnten. „Kirchenräume, Konzertsäle oder Stadthallen“ schlägt die Risikoabschätzung des Freiburger Instituts für Musikermedizin vor, könnten „auch als Probenräume genutzt werden“.
Wenn man zusätzlich Maßnahmen berücksichtigt wie gute Lüftungskonzepte aller Art, Maskentragen beim Singen, Beseitigung von Viren durch Hepafilter, UV-Strahlung usw. dann kann ein Probenraum auch kleiner sein. Aber wie groß müsste ein Raum sein, um ein Ansteckungsgeschehen möglichst kategorisch auszuschließen, wenn man diese Mittel nicht ergreift? Kann man dazu etwas sagen?
I. Zwei Worst-Case-Szenarien mit Gruppeninfektionen durch Superspreader in einem großen Raum
Tatsächlich kann man hier auf einige Worst-Case-Fälle zurückgreifen, um einen Eindruck zu bekommen, wie groß Räume sein müssten, wenn man keine weiteren Maßnahmen zum Abführen von Aerosolen ergreifen würde. Das ganze ist natürlich abhängig von der Probendauer.
1. Worst-Case-Szenario: Bei 85 Minuten gemeinsamer Singzeit infizierten sich 52 von 60 Sänger im Skagit Valley bei einer Raumgröße von 810 m³
Der bestausgewertete Fall einer Gruppeninfektion im Chor ist der allseits bekannte Fall des Skagit Valley Chorale in Mount Vernon, bei der 53 der anwesenden 61 Chorsänger an Corona erkrankten. Zwei Forschungsteams haben das Ansteckungsgeschehen im Mai und im Juni 2020 ausgewertet. Auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsberechnungen, kamen Sie zu dem Schluss, dass das Ansteckungsgeschehen am besten erklärt wird, wenn man nur von einer Infizierten Person ausgeht. Zum Zeitpunkt der Infektion waren in Skagit Valley noch keine Infizierten bekannt, die ersten aber im eine Fahrstunde entfernten Seattle. Der Chor probte in einer mäßig kleinen modernen Kirche (Bild unten). Das Raumvolumen des angeschrägten Kirchensaals wurde auf 810 m³ ausgemessen. Auf der Grundlage mathematischer Berechnungen wurde ermittelt, dass die hochinfektiöse Person seinerzeit (mit einer hohen Streubreite) etwa 970 Quanta Viren pro Stunde emittiert haben muss. Ein Quantum ist die Infektionsdosis, die es für eine Ansteckung benötigt. Auf der Grundlage dieser Berechnungen erstellte der hier bereits mehrfach zitierte Aerosolwissenschaftlicher Prof. Luis Jose Jimenez das vermutlich erste Internettool zur Berechnung von Raumgrößen in verschiedenen Alltagssituationen. Jimenez sagte übrigens, dieser Fall von Mount Vernon habe ihn generell erst von der Aerosolansteckung überzeugt.
Trotz vieler klarer Daten bleibt die Aussagekraft mit etlichen Unsicherheiten behaftet. Das gesamte Event dauerte 2 ½ h. Unterwegs gab es eine viertelstündige Pause. Zwischendurch probte der Chor in zwei Teilgruppen. Dies gesamte gemeinsame Probenzeit betrug 85 Minuten. Mitglieder aus beiden Gruppen wurden gleichermaßen krank. Eine Zeitlang wurde die Luft durch eine Klimaanlge ausgetauscht, dann stoppte die Klimaanlage. Wann das war, ist nicht mehr rekonstruierbar.
In dieser Zeit steckte einer der 61 Anwesenden 52 andere so an, dass sie Corona-Symptome entwickelten, zum Teil auf die Intensivstation kamen und 2 starben. Es ist durchaus möglich, dass alle SängerInnen infiziert wurden, 8 von ihnen aber symptomlos blieben. Es ist auch nicht genau zu sagen, wann die Sänger die Virusdosis überschritten hatten, die sie krank machte. Hätten statt 85 Minuten auch schon 75, 65 oder auch nur 50 Minuten bei gleicher Raumgröße dafür gereicht, dann wohl aber gesamthaft mildere Erkrankungen provoziert? Die Schwere etlicher Erkrankungsfälle dort deutet auf eine hohe Infektionsdosis hin.

2. Worst-Case-Szenario: Nach einer 2 ½ stündigen Chorprobe infizierten sich 60 von 80 Anwesenden bei der Berliner Domkantorei in einerm Raum von 120 m² Fläche und (vorläufig geschätzten) 1000 m³.
Da auch dieser Fall größere Aufmerksamkeit erregte, sind auch hier einige Daten bekannt. Der Chor probte am 9. März 2020 mit 78 Sänger*innen, Dirigent und Korrepetitorin 2 ½ Stunden abzüglich Pause in einem 120 m² großen Raum. Da sich Aerosole, die nicht abgeführt werden, jedoch nach und nach gleichmäßig im Raum verteilen, ist das Raumvolumen wichtiger als die Fläche. Bilder im Internet zeigen die hohe Raumhöhe (geschätzt 8 m), so dass das Raumvolumen bei 1000 m³ liegen dürfte. Ob in der Pause gelüftet wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Auch hier wurde klar, dass die Ansteckung über Aerosole stattgefunden haben muss. Dirigent und Korrepitorin befanden außer Spuckweite von den Sängern und der Dirigent rund 7 m von der hochinfektiösen Person entfernt. Drei Viertel aller Anwesenden (also 60 von 80) erkrankten von leicht, bis schwerer – mit großer Wahrscheinlichkeit und den Symptomen nach an Corona. 30 von ihnen wurden positiv, die übrigen gar nicht getestet. Denn damals ging es bei den Ansteckungen allgemein drunter und drüber und die Testkapazitäten fehlten noch. Es starb jedoch niemand. Möglicherweise war hier die Infektionsdosis geringer als im Skagit Valley Chorale. Andererseits hat der Chor auch einen vergleichsweise niedrigen Altersdurchschnitt. Nach allem, was man heute über das Verhältnis von symptomatisch und asymptomatisch Infizierten weiß, würde es nicht überraschen, wenn sich die verschonten 20 Sänger*innen als asymptomatisch infiziert herausgestellt hätten, wenn man sie nur getestet hätte.
II. Weniger Ansteckungsgefahr durch einen Superspreader bei gleicher Raumgröße und kleinerer Besetzung?
Immer wieder wurde auch in meinem Umfeld gesagt, dass die Ansteckungen dort prozentual so hoch waren, weil eben sehr viele Menschen dicht gedrängt in den beiden Räumen waren. Dem liegt ein Denkfehler zugrunde. Für die Ansteckungen über die Luft ist es ohne Belang, wie viele Menschen gleichzeitig im Raum anwesend sind. Die beiden beschriebenen Fälle wurden nur deshalb so bekannt, weil sich hier zwei große Chöre in beträchtlichem Umfang infiziert haben. Die beiden anfänglich infizierten, hochinfektiösen Sänger*innen in den den Chören, die hier ihre Mitsingenden infiziert haben, hätten genauso gut auch die Sänger*innen eines kleineren Chors infizieren können. Die Wahrscheinlichkeit, einen Superspreader im Chor zu haben, ist bei einer kleiner Gruppe natürlich viel geringer. Aber wenn denn einer da ist, dann könnte es für die Anwesenden besser kommen, wenn mehr Menschen im Raum sind, die die Viren wegatmen können – und so salopp gesagt als Luftfilter wirken. Ich weiss aber nicht, wie stark sich dieser Effekt gegebenenfalls bemerkbar machen würde – man sollte wohl nicht darauf setzen.
Artikel wird fortgesetzt
Allgemein gute Luft: Die notwendige gute und richtige Lüftung von Innenräumen (vorläufiger Kurztext)
Corona breitet sich in belegten Innenräumen besonders gut aus, und auch dann noch besonders, wenn viel gelacht, geschrien und gesungen wird, weil genau dann viele Aerosole entstehen, die potenziell Viren tragen können. Daher ist es für uns in den Chören gerade von besonderem Interesse, wie wir diese Aerosole aus den Räumen abführen können. Vielen ist aber nicht bewusst,
- dass eine günstige Belüftung in Innenräumen eine Wissenschaft für sich ist,
- dass es grosse Unterschiede in der Wirksamkeit von Lüftungsmethoden gibt,
- dass ein bisschen Fenster öffnen oft kaum Aerosole abführt,
- dass es für Laien schwer zu entscheiden ist, wann die Lüftung ausreichend ist
Eine differenzierte Darstellung folgt noch.
Allgemein gute Luft: Verkürzung der Probendauer (Erläuterungstext vorhanden)
Expositionszeit als Risiko und Lösung durch Verkürzung der Probendauer
Die Virusdosis, die man einatmet – sei es, weil die Luft im Raum verseucht ist oder weil man in der Nähe einer infizierten Person steht -, hat nach nachvollziehbarer Meinung vieler Fachleute einen gewichtigen Einfluss auf die Schwere einer Erkrankung. Vor allem, wenn die Gefahr besteht, sich über die Luft zu infizieren, können Viren, solange man ihnen in der Luft ausgesetzt ist, an immer neuen Stellen im Atemtrakt und am schlimmsten in der Lunge selbst immer weitere kleine Infektionen auslösen, die sich summieren und als Ganzes eine schwerwiegendere Infektion provozieren können – mit den bekannten Risiken einschließlich Long Covid, das durch einen schweren Verlauf eher begünstigt wird. Wenn man dann weiß,
- dass Ansteckungen beim Singen viel schneller erfolgen, weil mehr lungenbläschengängige Aerosole dabei hergestellt werden (vgl. Menüpunkt Aerosolübertragung beim Singen),
- dass Viren mehrere Stunden in der Luft überleben können – bei einer Halbwertszeit von einer guten Stunde (van Doremalen et al. 2020) -,
- dass die Ansteckungsgefahr während einer Probe nicht linear anwächst, sondern dass die Menge der an Aerosole gebundenen Viren in der Luft bei unzureichender Belüftung bis zu einem gewissen Grad immer mehr zunehmen kann, so dass man sich je später in der Probe, desto schneller infizieren kann,
- dass in vielen Fällen die Aerosole durch eine kurze Lüftungszeit kaum oder nur sehr reduziert aus einem Raum abgeführt werden (vgl. etwa Hartmann et al. 2020),
dann empfiehlt es sich sehr, die Probenzeiten bei nicht idealer Lüftung nicht voll auszureizen, sondern zu verkürzen – je nach Lüftungssituation sogar drastisch.
Das ist keine beiläufige Empfehlung, sondern eine nachvollziehbar wirksame Maßnahme. Das amerikanische Wissenschaftlerteam des Papers Safer Singing During the SARS-CoV-2 Pandemic (Naunheim et al. 2020) empfehlen diese Maßnahme sogar als einen eigenständigen Punkt von insgesamt elf und raten dringend zur kürzest möglichen Probendauer:
“Verkürzen Sie die Probenzeiten. Es gibt keine absolut ‘sichere’ Probedauer, und deshalb sollten Organisationen alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Proben auf den kürzest möglichen Zeitraum zu begrenzen.”
Die Wissenschaftler spielen dabei auf den Umstand an, dass die Viruslast, die ein Infizierter trägt, sehr unterschiedlich groß sein und ein Superspreader mit sehr großer Viruslast selbst in nicht mehr kleinen Räumen noch vergleichsweise schnell anstecken kann.
Bei den Suggested principles of safer singing des englischen Gesundheitsministeriums ist die Empfehlung der Probenzeitverkürzung (verknüpft damit, leiser zu singen) sogar einer von fünf Säulen eines möglichst sicheren Singens.
Auf den Zusammenhang zwischen Probendauer und Ansteckungsgefahr macht auch das Team der Freiburger Risikoeinschätzung für Musiker aufmerksam, empfehlen die Probendauer zu senken und sprechen von einer Optimierung der Parameter Luft/Raum/Dauer (Spahn et Richter 2020). Bei der Diskussion über die Einhaltung von Abständen beim Singen machen sie eigens deutlich, dass diese die Verkürzung der Proben nicht überflüssig machen:
“Die Einhaltung der Abstandsregel ersetzt jedoch nicht das regelmäßige Lüften und die zeitliche Verringerung der Probendauern.”
Kompensationsmöglichkeiten?
Die Aufforderung, die Probenzeit zu verkürzen, womöglich sogar die kürzest mögliche oder kürzest sinnvolle Probendauer anzuvisieren, gerät natürlich mit anderen Bedürfnissen in Konflikt. Wie soll man dann noch sinnvoll Stücke erarbeiten können? Lässt sich das Pensum in einer kürzeren Probenzeit bewältigen? Lohnt eine von 2 h auf 1 h verkürzte Probe noch den Anfahrtsweg (zumal man sich in Bussen und Zügen vielleicht ohnehin schon einem gewissen Risiko aussetzt?
- Bessere Vorbereitung der Chöre zuhause, damit das reine Notenüben überflüssiger wird. Viele Chorsänger*innen sind allerdings ohne Anleitung oder Hilfsmittel nicht in der Lage dazu, weshalb dann gegebenenfalls Übefiles eingesungen oder eingespielt werden sollten. Möglicherweise bietet das Internet aber auch bereits bestehende Midifiles oder sonstige Übehilfen, etwa auf Youtube usw. Oder es gibt bereits bestehende Übe-CDs oder Download-Files besonders zu gängigen Chorwerken auch im Handel.
- Kombination von Proben innen und außen, wo das Ansteckungsrisiko bei Wahrung des Abstands sehr gering ist. Selbst in kälteren Jahreszeiten wären Proben anteilig draußen denkbar (Einsingen, quasi Schlusskonzert draußen?).
- Verkürzte Registerproben, hinter- oder nebeneinander, wenn die Raumsituation es zulässt. Manche Chorleiter*innen haben im vergangenen Sommer ganze Abende lang mit jedem Register hintereinander geprobt. Diejenigen, die das tun, und Chöre, die das von ihren Chorleiter*innen und Korrepetitor*innen erwarten, sollten sich im Klaren sein, dass diese beiden dann im Verlauf ihrer Kurzprobenserie viel mehr Viren ausgesetzt sein können, etwa, wenn eine Infektion bereits noch unentdeckt im Chor kursiert – und die Virusdosis ist bei der Ansteckung mutmaßlich entscheidend für den Verlauf. Es wäre also zu überlegen, ob nicht durch Vizedirigenten oder Stimmführer, die zusätzlich nötigen Registerproben absolviert werden könnten oder ob man gegebenenfalls einen Teil der Teilproben online durchführt.
- Verkleinerung des Programms: Wenn ein Programm sonst eine Stunde oder einer halbe Stunde lange war, tun’s dann vorläufig nicht vielleicht auch 40 oder 20 Minuten? Auch Konzerte sollten ja vorläufig noch möglichst kürzer sein.
- Weitere kreative Lösungen?
Doch längere Proben?
Wer gegen diese Erkenntnisse und, ohne dass alle geimpft sind, die Probenzeit doch voll ausschöpfen möchte, sollte alle sonstigen Möglichkeiten ausschöpfen, möglicherweise virusbeladenen Aerosolen zuverlässig aus dem Weg zu gehen, oder sich absolut sicher sein, dass die Luft unverseucht ist, weil die Lüftungsbedingungen ideal sind, oder mit Coronatestungen operieren.
Pausen – und dann wieder proben?
Ich habe oben geschrieben, dass sich die Viruslast im Laufe einer Probe summiert, und es durch die additive Aussetzung gegenüber Viren, die an immer neuen Stellen im Atemtrakt bzw. in der Lunge infizieren können, überhaupt erst oder aber zu schwereren Infektionen kommen kann, als wenn man sich verseuchter Luft weniger lang aussetzt. Es ist aber anzunehmen, dass nach einer gewissen Zeit der Körper kleine Angriffe erfolgreich abwehren konnte (jedoch wohl ohne dass es deshalb bereits zu einer Immunität kommt) und man sich erneut virusbeladenen Aerosolen aussetzen kann. Wann das ist, am selben Tag oder erst am nächsten Tag oder noch später, ist mir aktuell gänzlich unbekannt (weiß jemand hier gegebenenfalls Informatives?). Man sollte also vorerst einmal eher davon ausgehen, dass etwa bei einer dreigeteilten Wochenendprobe am Samstag, die nötige Infektionsdosis gerade in der letzten der drei Proben auf dem additiven Weg erreicht werden könnte.
Allgemein gute Luft: Aerosolreduktion durch leises Singen, Summen und mit Mikro singen? (Erläuterungstext vorhanden)
Singen produziert nicht nur wie gezeigt (vgl. Menüpunkt Aerosolübertragung beim Singen) mehr Aerosole als Sprechen. Mit zunehmender Lautstärke steigt auch die Aerosolproduktion. Das wurde gleichermaßen für das Sprechen wie für das Singen gezeigt (z. B. Asadi et al. 2019, Eiche 2020; Mürbe et al. 2020; Aerosoluntersuchung durch Prof. Eberhard Bodenschatz 2020 usw., vgl. den gerade verlinkten Menüpunkt). Diese Beobachtung gilt zumindest in aller Regel. Mürbe et al. 2020 und Eiche 2020 haben beim professionellen Gesang gezeigt, dass im sehr lauten Bereich bei Steigerung der Lautstärke die Partikelproduktion stagniert bzw. sogar zurückgehen kann.
Ist Leisesingen eine Lösung?: Auf dem Hintergrund der erhöhten Aerosolproduktion mit wachsender Lautstärke machen Empfehlungen Sinn, die Lautstärke beim Singen zu mäßigen bzw. leise zu singen – zumindest in Innenräumen, wo die Aerosole nicht sofort durch die Luft stark verdünnt werden. Die Frage ist allerdings, wie weit sich diese Empfehlung ausdehnen lässt. Laute Stellen müssten auch zunehmend in der richtigen Lautstärke geprobt werden, damit das adäquate sängerische Gefühl dafür im Chor entsteht. In einer ersten Phase könnte aber durchaus versucht werden leiser zu proben, zumal dadurch auch die Randstimmenfunktion trainiert wird, die einen schönen Klang maßbeglich mitprägt. Alternativ könnte es aber sinnvoll sein, bereits bei der chorischen Programmwahl mehr Stücke auszuwählen, die dynamisch eher leise statt laut gesungen werden sollen. Händels Hallelujah im Piano vorgetragen wäre ja allenfalls eine Skurrilität.
Bedenken sollten vor allem Laien, dass beim Singen laut nicht gleich laut ist und sich im Hinblick auf die Aerosolproduktion nicht in Dezibelzahlen messen lässt oder gar in Vorschriften zu Dezibelzahlen ausdrücken kann. Denn Laien auf der einen Seite und ausgebildetere und professionelle Sänger*innen auf der anderen Seite haben einen ganz anderen Zugang zu Resonanzräumen. Der gute sängerische Einsatz von Resonanzräumen, der bei ausgebildeteren Sängern einen Ton unter Umständen sehr viel lauter klingen lässt, bedeutet noch lange nicht, dass die entsprechend lauter singende Person nun auch mehr Aerosole produziert, als ein viel leiser singender Laie. Nicht ausgebildete Laiensänger*innen – zumal unter nicht guter sängerischer Anleitung der Dirgierenden – neigen beim sehr lauten Singen leicht zum Schreien, das bekanntlich die meisten Aerosole generiert, während ausgebildetere und professionelle Sänger*innen laute Töne unter besserer Ausnutzung der Resonanzräume, mit einem bewusst dichteren Stimmbandschluss und unter Umständen auch mit viel weniger Luft singen können. Die Lautstärke hängt auch nicht allein von dem sängerischen Vermögen der Chorsänger ab, sondern auch davon, wie sehr der/die Chorleiter*in die Öffnung der Resonanzräume bei den Chorsänger*innen durch sein Dirigat suggerieren kann. Resonanzen und ihr guter Einsatz beim Singen allein generieren meinem Wissenstand folgend keine Aerosole. Das tun nur die Lunge, die Stimmbänder und die Artikulation. Es gilt also die Empfehlung zum leisen Singen differenziert zu betrachten.
Ist Summen eine Lösung?: In vielen Kirchen war schon nach dem 1. Lockdown dazu aufgefordert worden, nicht laut zu singen, sondern mitzusummen. Sicher lässt sich zwar sagen, dass die Tröpfcheninfektion beim Summen ausgeschlossen ist, da die Luft nicht durch den Mund, sondern durch die Nase abgegeben wird. In wie großem Maß aber allein durch das Schließen des Mundes die Aerosole abgehalten werden, wenn sie statt dessen alternativ durch die Nase entweichen können, ist meinem aktuellen Wissensstand zufolge nicht oder nicht hinreichend erforscht (Hat jemand eventuell klärende Informationen hierzu?). Denn die Aerosole, die beim Singen mehr als beim Sprechen produziert werden, entstehen in der Lunge (ev. in den Bronchien) und durch das Schwingen der Stimmbänder, wie ich im Menupunkt Aerosolübertragung beim Singen dargestellt habe. D. h. sie können von dort aus gleichermaßen durch den Mund wie durch die Nase entweichen. Die Aerosole aber, die beim Singen verstärkt produziert werden, haben nur eine Größe von kleiner als 2 μm oder sogar kleiner als 1 μm. Es ist bekannt und ich habe das in dem zitierten Menüpunkt dargestellt, dass diese Aerosolgröße beim Einatmen durch die Nase kaum gefiltert wird und lungengängig ist, und dass Aerosole dieser Größe überproportional mehr Viren tragen als größere Aerosole und Tröpfchen. Wie viele Aerosole werden also durch den engeren Weg durch die Nase vielleicht mehr gefiltert, als durch den offenstehenden Mund? Eine Unbekannte.
Man sollte auch nicht automatisch davon ausgehen, dass Summen wenig Aerosole produziert, weil es leise klingt. Wer als Laie intensiv summt und öffnet unvermittelt den Mund, wird einen vergleichsweise lauten Ton hören. D. h. der Schall wird durch den geschlossenen Mund nur in seiner Abstrahlung nach außen gebremst. Das bedeutet wohl des Weiteren, dass das Summen die gleiche Menge an Aerosolen generiert wie ein Ton der Lautstärke, der beim plötzlichen Öffnen des Mundes nach außen tritt. Möglicherweise würde man nichtsummend aber viel leiser singen. Wenn Summen gegenüber dem freien Singen eine nennenswerte Prozentzahl von Aerosole einsparen soll, dann am ehesten ein beiläufiges Summen.
Ist leises Singen mit Mikrophonen eine Lösung?: Das englische Gesundheitsministerium empfiehlt Chören während der Pandemie nicht nur Proben, sondern auch Konzerte – so denn überhaupt erlaubt – bei reduzierter Lautstärke und mit Mikrophonen zu singen. Diese Anweisung hat aber für Sologesang wie für Chöre außerhalb der so genannten U-Musik nur begrenzt Sinn. Wenn das Equipment dafür da ist, wären bei klassischen Chören hier allenfalls das Einstudieren von Tönen und Orientierungsproben als sinnvoll zu verkaufen. Bald müsste dann aber auch an der gewünschen Dynamik und der damit verbundenen Körperspannung ohne Mikros gearbeitet werden können. Denn das Singen ohne Mikrophon erfordert eine andere Technik, was umgekehrt natürlich genauso gilt. Jazzchöre, die mit Mikros singen, machen vor, wie die Kraft, die vielfach zur Aufrechterhaltung eines klingenden Tons bei klassischen Tönen benötigt wird, beim Mikrophongesang nicht in der Weise benötigt wird und dafür die Konzentration fruchtbar auf ganz andere klangliche Details gelegt werden kann. Rock-, Jazz-, Popchören, die bisher unplugged gesungen haben, könnten optional darüber nachdenken, ob sie nicht ganz auf diesen Modus wechseln könnten, bei dem die Kraft, die sonst tatsächlich mit weniger Lautstärke gut gesungen werden kann. Ein Beispiel dazu aus besseren Zeiten, wo man noch unmaskiert dicht stehen konnte:
Zu überlegen wäre allerdings: Da die Mikros oft sehr dicht am Mund gehalten werden, könnte es bei einer Verwechslung der Mikros bei den Sängern gerade erst zu Kontakübertragungen kommen. Und letztlich wird zwar mit guten Gründen angenommen, dass Kontaktübertragungen durch gemeinsame Berührungen von Gegenständen mit den Händen nur schwer stattfinden, wie ich im Menüpunkt Vergleich Ansteckungswege beschrieben habe. Je mehr Equipment jedoch benutzt wird, desto mehr könnten – wenn die Aufstellung nicht in den Händen einzelner liegt – auch Gegenstände gemeinsam berührt werden.
3. Belange günstige Abstände und gute Raumluft übergreifend: Masken, Visiere, Plexiglasscheiben (noch ohne Inhalt)
Maskentragen (Punkt im Aufbau – am Anfang stehend): Hier möchte ich in den folgenden Tagen und Wochen Überlegungen und Material zur Frage des Maskentragens als Schutzmaßnahme in Singgruppen zusammenzutragen. Die von vielen verhasste Mundnasenbedeckung kann beim Singen nicht nur getragen werden, sondern wird auch empfohlen, da sie im Zweifelsfall wohl weit mehr Ansteckungen verhindern kann als all die in Chorhygienekonzepten zumeist etablierten Hygienemaßnahmen.
Maskentragen ist bei vielen ein Reizthema, und Masken sind ungeliebt, weil sie das freie Atmen einschränken und überhaupt das Gefühl von Freiheit nehmen. Für viele ist dieses Ärgernis – vorläufig? – auch ein Ausschlusskriterium, in Chören mitzusingen, wenn Masken getragen werden sollten. Was aber wenn es gute Gründe dafür gibt, Masken zu tragen und Singgruppen sich nachhaltig dadurch schützen könnten? Wo ist dann die Grenze zwischen der Befindlichkeit von Maskenmuffeln (vielleicht auch Maskenmuffeln nur beim Singen) und dem Schutzbedürfnis der Gruppe oder dem Wunsch, die Gruppengröße durch eine solche Maßnahme nicht zu verkleinern, abzuwägen?
Zum Sinn und Zweck von Masken herrscht immer noch Konfussion. Verantwortlich dafür sind sich widersprechende Aussagen von Experten und die anfänglich von westlichen Staaten propagierte Haltung, dass Masken nichts bringen oder nur dem Fremdschutz dienen. Auch, dass man sich, wenn man eine Maske trägt, stets so verhalten solle, als trage man keine. Jetzt ist plötzlich die Maske aber das Heilmittel für Situationen, “wo Abstände nicht eingehalten werden können”. Zu hören war auch, dass der Schaden den Nutzen überwiegen würde. Durch falschen Gebrauch von Masken setze sich die Bevölkerung im Zweifelsfall einem viel größeren Risiko aus, als wenn sie einfach keine Masken tragen würde. Oder Masken schützen überhaupt nicht, oder sie schützen nur die anderen vor dem Träger. Später, als die Aerosole schon mehr in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit rückten, hieß es, Masken, zumindest einfache, halten keine Aerosole oder nur in geringem Maße ab. Jetzt (März 2021), wo einige Staaten dazu übergehen, stärkere und teurere Masken, wie FFP2- oder N95-Masken, zu empfehlen oder gar in gewissen Situationen verpflichtend vorzuschreiben, wird gesagt, das sei nicht nötig, weil alle Masken Tröpfchen und feuchte Aerosole gleichermaßen gut abhalten würden. Was kann man denn bei dem Meinungschaos überhaupt glauben? Maskengegner berufen sich nach wie vor auf solche Inkonsequenzen im Verhalten von Staaten und auf Aussagen von Fachleuten, die behaupten die Wirkung von Masken sei nicht erwiesen oder Maskentragen sei schädlich.
Heute gibt es jedoch gut begründet, wie ich gleich zeigen möchte, einen breiten wissenschaftlichen Konsens, dass das Maskentragen wirkt und Ansteckungen verhindern kann. Aber wenn das im Allgemeinen stimmt, lässt sich das dann auf Einzel- oder Gruppengesangssituationen aufgrund gesonderter Bedingungen übertragen oder bilden diese Bedingungen ein zu großes Gegengewicht, sodass Masken nicht getragen werden können? Wenn das klar bestätigt wäre, wäre die ganze folgenden Ausführungen im Rahmen dieser Seite überflüssig. Daher also mit der folgenden Kapitelüberschrift die dringliche Frage:
Können Masken beim Singen überhaupt getragen werden?
Immer wieder war von Situationen zu hören, wo Masken nicht getragen werden können. Dazu gehört nach der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC der Schulunterricht:
“Wenn Schüler kein Instrument singen oder spielen, das den Gebrauch ihres Mundes erfordert, sollten sie eine Maske im Musikunterricht tragen.”
Auch das Chorsingen wird speziell genannt. So wird auf der Online-Plattform des SRF ein Entscheid des Schweizer Bundesrats am 12. März 2021 so widergegeben:
“Es soll jedoch Ausnahmen für Aktivitäten geben, bei welchen keine Maske getragen werden kann, etwa beim Ausdauertraining in Fitnesszentren oder beim Singen im Chor.”
Im aktuell (März 2021) geltenden Schutzkonzept der Schweizer Bühnen heißt es:
“Die Maskentragepflicht ist beim Singen nicht oder nur bedingt umsetzbar. Von einer Maskentragepflicht kann deshalb abgesehen werden, sofern die Abstandsregel* eingehalten wird. Die Schutzmasken dürfen erst beim Singen abgenommen werden”
– also just zu dem Zeitpunkt, wo diese Schutzmaßnahme bei der Verhinderung der Anreicherung ansteckungsgefährdender Aerosole in der Luft, die beim Singen ungleich mehr entstehen als beim Sprechen – ihre größte Wirkung entfalten könnte, wenn sie denn beim Singen umsetzbar sein sollte.
Daher die Frage: Können trotz solcher Aussagen beim Gruppensingen Masken getragen werden? Die Antwort: Definitiv und grundsätzlich ja – zumindest für gesunde Sänger in Singgruppen und allenfalls auch beim solistischen Proben, wenn es keine medizinischen Gegenindaktionen gibt. Und es wird bereits seit langer Zeit unabhängig von der Frage, ob gesagt wird, das gehe nicht, und ob es angenehm ist oder Chorsänger*innen in dem Fall lieber auf das Singen verzichten würden, praktiziert. Ich habe selbst schon mit Chören gesungen, wo ein großer Teil Masken – Stoffmasken, chirurgische Masken und FFP-Masken trug – und selbst auch mit Maske dirigiert und muss sagen, beides geht – zumindest mit einer einfachen chirurgischen oder mit einer Stoffmaske, wenn es sich auch natürlich ohne Maske deutlich bequemer singen oder dirigieren lässt. Sehr viele Singgruppen auf der ganzen Welt haben mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass das besser geht als gedacht. Es klingt ein wenig dumpfer und die Sprachverständlichkeit leidet etwas, aber der Gesamtklang bleibt gut. In vielen Kirchen haben die Gottesdienstbesucher schon lange mit Masken gesungen. Die folgenden Videos zeigen gleichermaßen Profi- wie Laienchöre beim Singen mit Masken – und dass es hier wie dort geht.
Während also von einigen gesagt wird, dass es nicht oder nur begrenzt geht, mit Masken zu singen – und ich war am Anfang der Pandemie auch dieser Ansicht und habe meine Meinung begründet geändert-, wird von anderen, etwa den amerikanischen Gesangs- und Chorverbänden offensiv Werbung für das Singen mit Masken gemacht. Die amerikanische Gesangslehrervereinigung NATS (National Association of Teachers of Singing) hat die Maske sogar plakativ in ihr Gesellschaftslogo integriert – mit dem Signal: Die Maske gehört aktuell zum Singen, wie die sängerische Atemstütze.

Die NATS geht noch weiter und verteilt als Prävention zu Long Covid und der mit Corona oft als Langzeitfolge einhergehenden Fatigue aktiv Flyer und Spots, die ihre Mitglieder und die Schüler zum Tragen von Masken aufrufen – z. B.:





Von Musikermedizinern wird das Tragen der Masken beim Singen klar empfohlen:
- Die 18 amerikanischen Wissenschaftler, Ärzte und Musiker, die sich in einer Stellungnahme zum evidenzbasierten Safer Singing geäußert haben, fordern zum Singen mit Masken auf, wenn der Gesundheitszustand dies zulässt:
“Verwenden Sie PSA (Persönliche Schutzausrüstung), zumindest Stoffgesichtsmasken. Singen mit einer Maske ist möglich. Masken können Atembeschwerden für einige verursachen, und dies kann vor allem Sänger mit zugrunde liegenden Lungenfunktionsstörungen beeinflussen.”
- Die Deutsche Gesellschaft für Musikermedizin empfiehlt in ihrer aktuellen Empfehlung beim Chorgesang das
“Tragen von geeigneten Masken (Das Infektionsrisiko kann im Sinne des Fremd- und Eigenschutzes – wo es künstlerisch vertretbar ist – durch ein Singen mit Mund-Nase-Schutz verringert werden).”
- In der Risikoeinschätzung des Freiburger Instituts für Musikermedizin heißt es:
“Um das Risiko einer Infektion durch Aerosole in der Chorsituation zu verringern, kann zum einen Mund-Nasenschutz getragen werden…”
Der amerikanische Stimmarzt Lee Reussner vom Kansas Voice Center äußert sich so:
“Können wir wirklich mit einer Maske singen? Offensichtlich ist das keine große Sache. Ich denke nicht, dass sich die Leute dafür entscheiden würden. Aber in dieser Pandemie könnte das eine Option sein.”
Auch die staatlichen Gesundheitsämter empfehlen mitunter das Singen mit Maske. Das englische Gesundheitsministerium empfiehlt in ihren suggested principles for safer singing:
“Das Tragen von Gesichtsbedeckungen reduzieren die Anzahl der beim Singen ausgestoßenen Aerosole.”
Schützen Masken sich und die anderen allgemein und auch beim Singen?
Warum gibt es heute unter Forschern einen breiten Konsens, dass Maskentragen bei der Bevölkerung zum Fremd- und auch zum Eigenschutz beiträgt und warum haben die westlichen Staaten ihre ablehnende Haltung beim Thema Maskentragen der Allgemeinheit geändert?
Studien zur Wirkung von Masken beim Coronaviren 1: Die schützende Wirkung von Masken gegen Corona-Viren bei ihren Trägern wurde bereits bei SARS bestätigt
Verschiedene Studien dokumentierten bereits bei SARS, dass das Tragen von Masken auch den Träger schützt. So zeigte eine Studie von zwei Intensivstationen in Toronto auf den SARS-Patienten behandelt wurden, dass das Tragen von Masken das Pflegepersonal deutlich besser vor einer eigenen Infektion schützte (Loeb et al. 2004). 23 Personen trugen Masken, nur 3 erkrankten (also nur etwa 13 %), 20 nicht. Bei den 9 Personen, die keine Masken trugen, erkrankten 5, also über die Hälfte. Das Maskentragen senkte also das Risiko einer Infektion für die Träger der Masken auf ein Viertel.
Darum halten Masken Viren auf
Immer wieder wurde und wird bis heute bezweifelt, dass einfache Masken in der Lage sind, die SARS-CoV-2 Viren mit einer Größe von etwa 0,12 bis 0,14 μm abzuhalten. Wie soll eine Maske mit einer Gitterstruktur von 1 μm oder 10 μm oder noch viel gößere einen Virus von dieser Größe aufhalten können? Diese oft gestellte suggestive Frage berücksichtigt zwei wesentliche Punkte nicht.
- Viren brauchen Träger: Viren fliegen nicht einfach so durch die Luft. Sie brauchen dazu zwingend Träger, nämlich Tröpfchen oder Aerosole, also Mikrotröpchen, auf die andocken oder in denen sie eingeschlossen sind. Sind die Träger im Moment des Kontaktes mit einer Maske größer als die Gitterstruktur, werden die Viren, die auf oder in ihnen transportiert werden, auch zuverlässig abgehalten. Auch auch sehr viel kleinere Tröpfchen, die die Gitterstruktur
- Viele Schichten sind viel effektiver als eine und bilden eine große physikalische Barriere:
- Die Saugkraft eines Stoffs und die Elektrostatik halten auch Aerosole ab: Es ist nicht allein die Gitterstruktur einer Maske, sondern auch die Saugkraft eines Stoffs und die Elektrostatik, die effektiv auch Aerosole abhalten, die eigentlich rein mechanische betrachtet gut durch die Gitterstruktur einer Maske hindurchfliegen müssten. Mit einem griffigen Vergleich erklärt das Caroline Schröder, Pressesprecherin des Maskenherstellerst Dräger, für FFP-Masken so:
“Die mechanische Schutzwirkung basiert auf der Anordnung des Filtermaterials und dessen eigentlicher Filterleistung. Die elektrostatische Schutzwirkung kann hingegen mit der eines Staubtuchs verglichen werden: Beim Wischen von Staub haftet dieser am Tuch. So ist es auch bei FFPs – sie halten die Partikel quasi fest.”
Viele stellen die Funktionsweise einer Maske zu sehr wie die eines Siebs vor. So funktioniert eine effektive Maske aber nicht. Zum einen lässt sie sich besser mit einem Spinnennetz vergleichen: Wenn Partikel wie Staub oder virenbeladene Aerosole, die eigentlich viel kleiner sind als die Gitterstruktur der Maske, einen Stofffaden berühren, werden sie durch die Elektrostatik und abhängig von deren Stärke eingefangen. Der Stoff von FFP2-Masken wird aus diesem Grund bei ihrer Produktion extra elektrostatisch aufgeladen, um eine hohe Filterwirkung zu erzielen.
Zum zweiten liegen bei besseren Masken mehrere Gitter übereinander, so dass die Chance, dass virenbeladene Aerosole einfach so durch das Gitter gelangen drastisch gesenkt wird.

Das folgenden Youtube-Video (leider nur auf Englisch), aus dem das vorangegangene Bild stammt, erklärt den Sachverhalt sehr anschaulich:
Was ist beim Maskentragen zu beachten?
- Masken sollten richtig angezogen und nicht in auf dem Stoff, vor allem nicht in der Mitte, mit den Händen berührt werden
- Masken entfalten nur dann ihre volle Wirkung, wenn sie gut anliegen:
- Masken sollten nicht durchfeuchtet sein:
Visiere sind kein Ersatz für Masken – besonders nicht beim Singen
Da, wo wie beim Singen viele Aerosole produziert werden, sind Visiere kein Ersatz für Masken – vor allem nicht in wenig geräumigen Innenräumen. Sie können zwar einen selbst und auch die anderen vor einer unmittelbaren Tröpfcheninfektion zuverlässig schützen, Aerosole werden durch sie aber (so gut wie) nicht abgehalten. Und Aerosolinfektionen dominieren über Tröpfcheninfektionen ab 50 cm Abstand beim Husten, und ab 20 cm beim Sprechen (und wohl auch beim Singen, Chen et al. 2020). Können Abstände durch Maskentragen beim Singen verringert werden (unter 2 m), ist im Hinblick auf solche Überlegungen bei Visieren Vorsicht geboten: Allenfalls nach vorne wäre es denkbar, dass der Abstand zur vorderen Reihe verringert werden könnte, weil es keinen Aerosoldrift mehr gibt. Da Aerosole aber durch Visiere nicht gefiltert werden, ihr Drift aber gestoppt wird, ergibt sich die logische Konsequenz, dass die Aerosole im Nahbereich des Emmitters um einiges höher sein müssen, als bei einer Person, die weder Masken noch Visier trägt, und sehr viel höher als bei einem Maskenträger.
Wie gewaltig der Unterschied bei der Verhinderung von Aerosolbildung zwischen Masken- und Visiertragen ist, zeigen diverse Studien. Eine Ende 2020 durchgeführte Studie der amerikanischen CDC untersuchte anhand eines künstlich generierten Hustenaerosols mit Aerosolgrößen von 0 bis 7 Mikrometer, wie viele Aerosole durch welche Maßnahmen abgehalten werden können (Linsdley et al. 2020). Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache:
- FFP2-Masken (N95): 99 %
- einfache chirurgische Masken: 59 %
- 3-lagige Baumwollmasken: 51 %
- Polyester-Halsmanchetten einfach: 47 %
- Polyester-Halsmanchetten doppelt gefaltet: 60 %
- dagegen Gesichtsmasken: 2 %
Das Visiere nicht geeignet sind in Innenräumen, wo höhere Aerosolkonzentrationen anfallen können, zeigt auch Anekdotisches. In einem Hotel im engadinischen Ponteresina etwa wurde eindrücklich unter Beweis gestellt, dass sich nur Angstellte infizierten, die sich mit Face Shields versuchten zu schützen, während alle maskentragenden Angestellte gesund blieben.
Aufgrund des mangelnden Schutzes durch Visiere vor einer Corona-Infektion haben nun viele Staaten auch ihre Empfehlungen geändert und raten in vielen Fällen vom Gebrauch der Visiere ab.
B) Selektionsverfahren: Versuch, das Virus vom Ort fernhalten = Kranke und Ansteckende sollen nicht teilnehmen
Bei den bisherigen Schutzmaßnahmen ging es darum, wie sich Singende in einer Gruppe vor eine Ansteckung vor Ort schützen können. Wichtig sind aber auch die von Anfang der Pandemie an gemachten Überlegungen, was man tun kann, damit potenziell infektiöse Personen erst gar nicht zum Gruppengesang kommen und dort andere infizieren können. Dazu bieten sich einige nützliche und weniger nützliche Mittel, die erwogen werden oder bereits schon etabliert sind. Sehr wichtig ist der Aufruf, dass alle Kranken und solche, die coronaspezifische Symptome verspüren, unbedingt sofort zuhause bleiben sollen, wenn sie die ersten Symptome verspüren. Wenig effektiv (bzw. wenig Mehrnutzen zu bringen) scheint dagegen die vielfach empfohlene Temperaturkontrolle am Eingang zu sein. Schnelltests können wohl eine weitgehende sichere Zone schaffen. Hier stellt sich jedoch möglicherweise die Frage nach Kosten und Praktikabilität. Erste Studien aus Israel und England legen nahe, dass Geimpfte deutlich weniger ansteckend sind. Insofern werden wohl auch Chöre nicht umhin können, in eine Diskussion zu Ethik und Praktikabilität impfungsbezogener Zugangsbeschränkungen einzusteigen.
Selektionsverfahren: Sofort zuhause bleiben bei Symptomen (Erläuterungstext vorhanden)
Da die Viruslast und damit die Fähigkeit, andere zu infizieren, am Tag vor Ausbruch der Symptome am höchsten ist und bei Auftritt von Symptomen bereits sinkt, ist es zwingend nötig, nicht zu zögern, wenn man erste coronaspezifische Symptome bei sich feststellt, sondern sofort zu reagieren und einem Gesangsevent fernzubleiben.
Die Anweisung, zuhause zu bleiben, gehört zum Standardrepertoire von Hygienekonzepten und wurde uns von den Gesundheitsbehörden der verschiedenen Länder von Anfang an eingebläut. Zu Recht. Die Anweisung leuchtet unmittelbar ein, da man ja davon ausgeht, dass ein Kranker ansteckend ist, und man verhindern möchte, dass die Krankheit sich weiter ausbreitet.
Leider können aber aufgrund der ungünstigen Ansteckungsdynamik von Covid-19 durch diese Strategie nicht alle Infektiösen von einer Probe ferngehalten werden, selbst wenn jeder dem Aufruf sofort folgen würde. Denn wie schon früh in der Pandemie gezeigt wurde, gibt es einen sehr hohen Prozentsatz von Menschen, die vor Ausbruch von Symptomen andere infizieren können und einen wohl geringeren von solchen, bei denen überhaupt nie Symptome auftreten. Eine in Nature veröffentlichte Studie von Forschern aus Guangzhou und Hong Kong schätzten auf der Grundlage ihrer Daten ab, dass sich 44 % der Ansteckungen ereigneten, bevor bei den Überträgern Symptome ausbrachen (He et al. 2020). Andere Forscher schätzen diese Zahl als zu hoch ein (vgl. etwa Slifka et Gao 2020). Hier wird darauf aufmerksam gemacht, dass Präsymptomatische innerhalb von Familien das Virus weit weniger als erwartet weitergegeben haben. Die mathematische Modellierung eines englischen Teams um Christophe Fraser auf der Grundlage verschiedener Studien kommt aber in einer in Science veröffentlichten Studie zu folgender Ansteckungsverteilung mit deutlichem Überhang von symptomlosen Ansteckungen: 46 % präsymptomatisch, 6 % gänzlich asymptomatisch, 38 % symptomatischen, 10 % über Kontaktübertragungen (Feretti et al. 2020).
Wo die Wahrheit hier auch immer liegt, zwei Dinge sind klar: Auch wenn Coronaskeptiker asymptomatische Übertragungen mitunter leugnen, sind diese durch viele Studien bewiesen, und es ist mit ihnen jederzeit zu rechnen. Zum anderen ist die Beobachtung wichtig, dass die Infektiosität einer Person abhängig von der Viruslast in den Atemwegen des Übertragers ist und durch welches Medium die Infektion weitergegeben wird. Da Aerosole im Vergleich zu Oberflächen oder Tröpfchen am besten und mit den geringsten Mengen an Viren flächenddeckend in der Lunge anstecken können und beim Singen in großer Zahl entstehen, ist auch plausibel, warum es bei Chören wiederholt durch asymptomatische Überträger zu Superspreadingevents gekommen ist und warum man mit diesem Weg dort weiter rechnen muss.
Die Virenmenge aber ist in den Tagen vor Symptombeginn und zu Symptombeginn am größten und fällt danach (zumindest eine Weile) Tag für Tag stetig und steil ab. Eine öfter zitierte Graphik soll schematisch u. a. den Verlauf der Viruslast während einer Infektion angeben. Sie zeigt den Höhepunkt zu Symptombeginn und, wie die Kurve danach sofort fällt.

Tatsächlich aber kommt eine Metastudie, also eine Auswertung vieler Studien (in diesem Fall: 115 Studien), zu dem Befund, dass die Viruslast vor Ausbruch der Symptome am höchsten ist und bei Symptombeginn bereits im Rückgang begriffen ist (Benefield et al. 2020) – umgesetzt in der folgenden Graphik.

Der optische Eindruck der Graphik täuscht, da es sich nicht um eine lineare, sondern um eine exponenzielle Darstellung handelt. Man sieht, dass die Viruslast zu Symptombeginn schon durchschnittlich und nicht undeutlich niedriger liegt und in den Tagen der Krankheit in Größenordnungen abnimmt, bis nach einigen Tagen die Infizierten kaum noch infektiös sind.
Auf die Chorsituation übersetzt heißt dass: Da im Chor in jedem Fall die Aerosole die Hauptüberträger des Virus sind und diese hauptsächlich durchs Singen generiert werden, ist die Ansteckungsgefahr leider von präsymptomatisch Infizierten am höchsten, während sie mit Symptombeginn zunehmend zurückgeht. Daraus folgt, dass die Maßnahme, einem Gesangsevent beim Fühlen von coronaspezifischen Symptomen fernbleiben zu sollen, wenn sie denn noch einen großen Effekt haben soll, unbedingt sofort umgesetzt werden sollte, sobald man ein erstes coronaspezifisches Symptom verspürt. Und das unbedingt auch im Fall von Unsicherheit, ob ein solche spezifisches Symptom tatsächlich den Anfang einer Coviderkrankung darstellen könnte.
Income-Kontrolle und Temperaturmessung am Eingang (Erläuterungstext vorhanden): Da es u. a. viele nicht- und vorsymptomatische Ansteckungen gibt und viele Infizierte kein Fieber entwickeln, ist die Effektivität der Maßnahme begrenzt. Allerdings könnte vielleicht doch ein potenzieller Superspreader dadurch aufgespürt werden.
Am Anfang der Pandemie hoffte man mit Temperaturmessungen Coronainfizierte gut ausfindig machen zu können, und erachtete die Temperaturmessung für eine effektive Maßnahme im Kampf gegen die Ausbreitung der Pandemie. Auch eine Reihe Hygienekonzepte zum Gruppensingen haben vor dem letzten Sommer die Temperaturkontrolle als Maßnahme etabliert. Im Laufe der Zeit kamen aufgrund verschiedener Beobachtungen jedoch Zweifel an einer weitreichenden Effektivität dieser Maßnahme auf. Die fünf gewichtigsten Gründe dürften die folgenden sein:
- Beobachtungen zeigten, dass viele Coronaübertragungen bereits vor- und außersymptomatisch stattfinden. Ich habe oben bereits darauf verwiesen: Eine Studie legte nahe, dass 44 %, eine weitere dass 46 % aller Infektionen präsymptomatisch sein könnten. Damit würde eine Fiebermessung bereits fast die Hälfte aller potenziellen Anstecker übersehen.
- Dabei bleibt der Anteil der Symptomlosen an der Gesamtheit der Ansteckungen nicht stehen. In der mathematischen Modellierung des Teams um Christophe Fraser wurden der Anteil der Asymptomatischen, also derer, die über die Präsymptomatischen hinaus ganz ohne Symptome bleibt, auf weitere 6 % geschätzt.
- Es ist bei den dringenden Aufrufen zuhause zu bleiben, anzunehmen, dass der größte Teil der an Fieber erkrankten ohne hin schon nicht zu einer Probe erscheinen würde, also auch nicht durch die Temperaturmessung ausgesiebt würde.
- Viele symptomatische Coronainfiziert entwickeln überhaupt kein Fieber.
- Fraser schätzte wie andere den Anteil von Übertragungen durch Oberflächen zwar mit 10 % gering ein. Wenn Oberflächen denn tatsächlich eine Rolle spielen und sich Menschen darüber infizieren würden, würden viele dieser Infektionen auch nicht durch eine Temperaturmessung verhindert werden können.
- Fiebersenkende Mittel könnten willentlich oder unwillentlich genommen werden, die das Ergebnis beeinflussen bzw. die eigentlich erhöhte Körpertemperatur verschleiern.
Man kann sich also überlegen, in welcher Relation der Aufwand und der mit ihm verbundene suggestive Gehalt (“Hier wird etwas für meine Gesundheit getan”) steht. Das RKI hat schon früh (April 2020) die Temperaturmessung nicht mehr empfohlen. In einem Epidemiologischen Bulletin äußert sich das RKI zur Temperaturmessung an Flughäfen so:
“Insgesamt werden Entry- und Exit- Screening-Maßnahmen an Flughäfen mit Temperaturmessungen bei der COVID-19-Bewältigung in Deutschland für ineffektiv und der mögliche Mehrwert als vernachlässigbar eingeschätzt.”
RKI
Auch das Schutzkonzept der Schweizer Bühnen forderte zwar am Anfang noch die Temperaturmessung (nicht nur) beim Proben von Gesangsensembles. In einem späteren Update wurde aber – wohl auf der Grundlage von ähnlichen wie von mir aufgezeigten Bedenken – die Maßnahme dann zu Recht zu einer Kannbestimmung aufgeweicht. An der Empfehlung eine Income-Kontrolle und der Temperaturmessung
Es ist zwar anzunehmen, dass immer wieder einmal einzelne noch unentdeckte Infektionen durch die Fiebermessung auch in Singgruppen aufgedeckt würden. Und da die Fiebermessung wohl eher Fälle aufdeckt, die am Anfang einer symptomatischen Erkrankung stehen, könnte die Viruslast bei den entdeckten Personen mit erhöhter Temperatur tatsächlich hoch sein.
Insofern lässt sich auch argumentieren, diese Maßnahme durchführen und in Hygienekonzepten vorschreiben. Es wäre dann aber auch zu überlegen, ob man nicht allen Beteiligten auch die Grenzen eines solchen Vorgehens klar machen sollte. Denn auch das Fiebermessen hat das Potenzial, so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dass wie bei übertriebenen oder übertrieben ausführlichen Hygienevorschriften die Aufmerksamkeit von den viel effektiveren Schutzmaßnahmen wie Wahrung genügender Abstände, Zufuhr von Frischluft, Filtern von Luft u. ä. m abgezogen wird und eine falsche Sicherheit suggeriert wird. Wenn sich alle Beteiligten darüber im Klaren sind, könnte die Etablierung der Maßnahme fakultativ sinnvoll sein. Anderseits ist die Argumentation von Richter und Spahn der Freiburger Risikoeinschätzung beim Musizieren zum Warum der Maßnahme eine standardisierten Befragung am Eingang hier auch interessant und bedenkenswert:
“Sowohl eine standardisierte Befragung als auch das Fiebermessen könnte die Aufmerksamkeit der Musizierenden hinsichtlich der Gefährdungsaspekte jedoch verbessern und die Compliance bei der Durchführung von Schutzmaßnahmen erhöhen.”
Schnelltests (noch ohne Inhalt)
Impfung (aktuell erst Statement)
Die folgende Aussage ist vorerst nur als Statement zu versehen, da ich sie erst noch mit den nötigen Daten unterfüttern und faktisch besser absichern muss (was ich nach dem Sommer tun möchte).
Lange Zeit habe ich die Impfung auf dieser Webseite gezielt beobachtend ausgeklammert, was ich nicht mehr tun möchte, da wir mittlerweile sehr viele recht gute und entlastende Informationen zu Impfung besitzen. In Anbetracht, des vergleichbar hohen Risikos im Infektionsfall stärker zu erkranken und im schlimmsten Fall zu sterben oder auch durch die zahlreichen Nachwirkungen von Corona bleibende Gesundheitsschäden davonzutragen, nehmen sich die ebenfalls möglichen auch stärkeren Impfschäden, die nicht geleugnet werden sollen, zumindest bei allen Menschen über 30 vergleichsweise sehr gering aus – auch wenn man dadurch denjenigen, die sich vor einer Impfung fürchten, durch dieses Wissen oft nicht die Angst vor der Impfung nehmen kann.
Doppelt Geimpfte sind viel weniger empfänglich für eine Ansteckung, entwickeln geringere Viruslasten und diese auch gegenüber ungeimpften verkürzt. Singen Geimpfte untereinander, ist das Ansteckungs- und Erkrankungsrisiko deutlich gesenkt. Der Idealzustand, um die Chorarbeit wieder aufzunehmen und weiterführen zu können, wäre also der, wenn alle geimpft sind oder nur Geimpfte untereinander singen, wie dies auch in anderen Bereichen vielfach gefordert und zur Anwendung kommen wird.
Denn bekanntlich ist die Impfung kein 100 % Schutz und man kann sich jederzeit abhängig vom persönlichen Zustand, aber – beim Singen wichtig – von der Virusdosis, die man bei der Infektion abbekommt, infizieren. Ein schwerer Verlauf ist zwar auch deutlich unwahrscheinlicher. Aber auch der hängt letztlich von der Infektionsdosis ab und, in welchem Verhältnis diese zu der erworbenen Immunabwehr steht. Nun handelt es sich bei den vorliegenden entlastenden Daten hauptsächlich um Durchschnittsbeobachtungen aller Fälle, die den Spezialfall Singen nie berücksichtigt haben: Wenn aber Singen 20 bis 50-mal höhere Virusdosen produzieren kann, wie ich unter dem Menüpunkt Aerosolübertragung beim Singen plausibel gemacht habe, dann kann man sich zu Recht fragen, ob nicht auch der Impfschutz von doppelt Geimpften, die mit einem nichtgeimpften Superspreader zusammen singen, mit empfindlichen Konsequenzen durchbrochen werden kann. Auch wenn die Geimpften dann möglicherweise nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen, so sind geimpft Infizierte nach wie vor ernsthaft mit dem Risiko von Long Covid konfrontiert: Die bislang größte Langzeitstudie zu Corona weltweit am King’s College in London hat ermittelt, dass das Risiko an Long Covid zu erkranken, für doppelt Geimpfte nur um 30 %, also nicht einmal um ein volles Drittel, reduziert ist. Aktuell liegen hier leider noch viel zu wenig Daten vor, um einigermaßen sichere Progonosen abzugeben und eventuell gewissen Gruppen gegenüber hier Entlastung auszusprechen. Daher sollte man beim Singen im Moment nach wie vor eine große Achtsamkeit walten lassen,
Leider hat der Impfschutz durch die aktuell aufkommende Delta-Variante gelitten, und glaubt man neuen Daten aus Israel schützt eine Biontech-Impfung bei Delta nur noch zu 64 % vor einer Ansteckung. Zu bedenken gilt auch: Rechnete man beim Urtyp nur mit ca. einem Hunderstel der Infizierten als potenziellem Superspreader mit über 109 bis zu 1011 Viruskopien/ml im Speichel, so entwickeln, wie jüngst gezeigt wurde, Infizierte mit der Alpha-Variante Infizierte im Schnitt 10-mal höhere Viruslasten. Und nun wird bereits jeder neunte Infizierte als potenzieller Superspreader klassifiziert werden, der eine Viruslast von 109 und mehr Viruskopien pro ml Speichel aufweist. Bei Delta sind die Virenmengen noch einmal größer. Auch sind mit Alpha und Delta Infizierte länger ansteckend als ursprünglich mit dem Wildtyp Infizierte. Anteilige und umfassende Ansteckungsereignisse in Chören werden beim Wegfall von Maßnahmen unvermeidbar sein, wenn entsprechende Inzidenzen vorliegen.
Es liegen also im Prinzip gute Argumente vor, wenn Geimpfte untereinander singen wollen. Dies jedoch als Konsequenz in Chören durchzusetzen, könnte Chöre vor die Zerreißprobe stellen, wenn ein erheblicher Teil der Sänger*innen im Chor nicht bereit sind, sich impfen zu lassen, oder auch Chöre auseinanderfallen bis sterben lassen. Das Problem ist also außerordentlich schwierig zu lösen. Möglicherweise wird das Problem auch von den Beteiligten sehr unterschiedlich beurteilt: Jemand der einmal die Woche singen geht und das Risiko tragen will, trägt ein ganz anderes Risiko als ein Chorleiter, der vielleicht hauptberuflich jeden Tag vor einem anderen Chor steht und auf seine volle Kraft und Atmungsfähigkeit angewiesen ist. Was dürfen hier Chorleitende gegebenenfalls einfordern?
Ungeimpfte sollten sich aber klar machen, dass Gruppengesang für sie ohne Impfschutz ein sehr hohes Risiko darstellt und zu schlimmen gesundheitlichen Konsequenzen führen kann. Ernsthafter als Geimpfte sollten sie sich fragen, ob es eine gute Idee ist, singen zu gehen, wenn die hier beschriebenen nicht pharmazeutischen Schutzmaßnahmen fallen, die einen Schutz versprechen können.
C) Selektionsverfahren: Die besonders Gefährdeten vom Ort fernhalten?
D) Strategische Probenplanung: Probenfrequenz, Intensiv- und Konzertphasen an bekannte Größen der Krankheit anpassen?
Probenfrequenz: Umsichtige Intensiv- und Konzertphasenplanung
Chöre sind wohl kaum mehr für kleinere oder größere Ausbrüche empfänglich, wenn nicht gerade ein einzelner Superspreader mit einer sehr hohen Viruslast einen Chor in einer einzigen Probe ansteckt, als in Intensiv- und Konzertphasen. Die Gründe dafür sind mehrschichtig. Ein Teil von ihnen resultiert aus der Dynamik im Chor:
- Mehr aufeinanderfolgende Gesangsanlässe: In Intensiv- und Konzertphasen gibt es in der Regel vielmehr auf einander folgende Proben, die eine schleichende Durchinfektion im Chor ermöglichen könnten.
- Mehr Aerosole pro Zeiteinheit: In Intensiv- und Konzertphasen produziert die gleiche Anzahl an Singenden in der gleichen Zeit wohl viel mehr Aerosole als in Proben des normalen Probenzyklus zuvor. Denn nachdem in vorhergehenden Proben mehr mit einzelnen Stimmen oder in kleineren Einheiten geprobt worden ist, wird nun viel mehr und viel länger zusammen gesungen.
- Allgemein bessere Anwesenheit: In Intensiv- und Konzertphasen sind zumeist mehr Sänger anwesend als im normalen Probenzyklus zuvor, wo man sich eher einmal herausnehmen kann zu fehlen.
- Moralische Verpflichtung: In Intensiv- und Konzertphasen fühlen sich Sänger*innen viel mehr moralisch verpflichtet, dabei zu bleiben, auch wenn etwa Ansteckungszahlen gleichzeitig im Umfeld steigen. Außerdem freut man sich ja auch auf die Konzerte und möchte dabei sein, wenn die Ernte mühsamer Probenarbeit eingefahren wird.
Zu diesen chorspezifischen Aspekten treten nun coronaspezifische Aspekte hinzu, die man bei der Konzertplanung allenfalls bedenken sollte:
- Die Inkubationszeit: Symptome können sich zwar bereits nach 1 bis 2 Tagen zeigen. Jedoch haben Forscher eine durchschnittliche Inkubationszeitvon 5,1 Tagen errechnet. Je mehr Menschen sich im Chor infizieren, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Infektion bereits vor dieser Zeit entdeckt wird.
- Die Latenzzeit: Die durchschnittliche Latenzzeit bei einer Coronainfektion (die Zeit zwischen der eigenen Ansteckung und dem Moment, wo man selbst ansteckend wird) beträgt 2,5 bis 4 Tage.
- Die Zeit grösster Infektiosität: Verläuft Corona dem Durchschnitt gemäß, sind Personen bereits nach 3 bis 4 Tagen nach der Ansteckung am meisten infektiös (1 bis 2 Tage vor Symptombeginn ist die Viruslast im Durchschnitt am höchsten ermittelt worden, so man denn überhaupt die Chance hatte, das zu ermitteln, da ja die meisten Fälle erst nach Symptombeginn aufgespürt werden. D. h. die Ansteckenden merken noch gar nichts von der Gefahr, die allenfalls von ihnen ausgeht.
Anhand dieser Aspekte kann man nun berechnen, welche Strategie, die nicht anderen Zwängen folgt, am meisten geeignet ist, um eine breite Infektion innerhalb des Chores zu umgehen. In jedem Fall wird aus den genannten coronaspezifischen Aspekten deutlich, dass ein Probenwochenende als Intensivprobenphase nach Möglichkeit nicht unmittelbar vor einem Konzertwochenende stattfinden sollte.
E) Weitere Schutzmaßnahmen?